Die Schürze

Ein Spaziergang durch die Gärten erinnerte mich an folgendes Erlebnis und teilte es meiner Begleiterin mit.

Es scheint heute ein schöner Vorfrühlingstag zu werden. Die Sonnenstrahlen spielen mit den ersten zarten Blüten und der Wind streift sanft über das frische Grün. Es riecht nach frisch umgegegrabener Erde - Herrlich - Ich bitte Großmutter, mir die Haare schneller zu flechten und sie mir ganz hochzustecken, damit die Sonne überall an mich ran kann.
Am Frühstückstisch hipple ich schon hin und her, denn es drängte mich nach draußen. Ich war schon ums Häuschen gelaufen und schaute gerade nach, ob auf meinem Beet auch schon die Primeln blühen und strich das wärmende Herbstlaub zur Seite.
Da rief mich Mutti herein und band mir noch die Schütze um, mit der Bemerkung, du hast ja jetzt schon schmutzige Hände. Ich hatte schon gehofft, sie heute nicht tragen zu müssen. Aber nichts da! Ich will keine Schürze und mag auch nicht die Mutti, wenn sie meckert. Gerade diese Schürze engt mich besonders ein. Immer, wenn ich mich hinknien will, habe ich den Schürzenstoff drunter und wenn ich mich aufrichte, reißt es mich am Hals so sehr, daß ich schon zur Seite gekullert bin.

Solche Not macht erfinderisch und ich klemmte mir die ungeliebte Stoffumhüllung zwischen die Oberschenkel, um ungestört zu spielen. Die Knitterfalten wurden genauso mokiert wie die Flecken auf ihr. Immer gab es irgend etwas, worüber meine Mutter was zu stöhnen hatte. Heute nahm ich mir vor, daß nichts dergleichen geschehen würde.
Ich wollte durch die Gärten gehen und schauen, ob die anderen Sommerfrischler schon da waren. Sind vielleicht schon Frühlingsferien? Dann könnten meine Freundinnen schon hier sein.
Also machte ich mich auf den Weg, aber nicht, bevor ich mich mit viel List und Beweglichkeit der ungeliebten Schürze entledigte. Ich rollte sie fein säuberlich zusammen und steckte sie in den Briefkasten, damit ihr nichts passiert. Ich konnte doch nicht meine Freundin mit Schürze empfangen. Jetzt konnte es losgehen. Ich schaute an vielen Gärten vorbei, hüpfte mal hierhin, mal dahin, fand so allerlei Blühendes, zum Beispiel Vogelmiere und winzige weiße Sternchen, die Großmutter Hungerblümchen nannte.
Meine Enttäuschung war groß, als bei allen meinen Freundinnen die Tore verschlossen waren. Also waren noch keine Frühlingsferien - Schade.
Ich malte nun auf den Sandwegen vor ihren Gartenpforten kleine Figuren und Pfeile, damit sie wußten, daß ich auf sie warte.
Nun trödelte ich weiter durch die Kolonie, spielte mit den Hunden der Nachbarn, die wie wir auch im Winter hierblieben, weil sie in Berlin kein Zuhause mehr hatten. Ein Liedchen trällernd strebte ich wieder unserem Garten entgegen, denn ich bekam langsam Mittagshunger. Überall duftete es schon, einige Nachbarn saßen schon im Garten und aßen.
Ich grabbelte nun nach meiner Schürze, aber sie war nicht mehr im Briefkasten. Als ich sie reinlegte, hatte ich nicht daran gedacht, daß der Briefträger auch später kommen konnte und somit mein Versteck verraten würde. In der Siedlung erzählt man sich, daß es jetzt täglich später wird mit der Post, weil er jetzt immer mehr schwarze Feldpost austragen muß und sie nicht nur in den Briefkasten steckt, sondern den alleingebliebenen Frauen die böse Nachricht übergibt, um den ersten Beistand zu leisten. Sonst klingelt er nur und fährt weiter.
Mutter hat nun Zeitung und Schürze später als sonst herausgenommen und ich habe jetzt ein schlechtes Gewissen. Ich schlich mich nun erstmal auf den Wäscheplatz, ob nicht eine andere Schürze auf der Leine hing oder ob in meinem Puppenwagen was brauchbares zu finden war - Leider nicht. Also ging ich in die Höhle des Löwen und holte mir die Strafpredigt ab und eine tüchtige Tracht Prügel.
Für diesen schönen Vormittag im Vorfrühling und Freiheit war die Dresche schnell vergessen.

Meine Aversion gegen Schürzen änderte sich erst, als ich viele Jahre später im Kinderheim arbeitete und die weiße Schürze ein Symbol der Macht bedeutete. Für mich wurde extra eine kleinere Schürze bestellt, weil ich klein und sehr schmächtig war. Von den ältesten Zöglingen unterschied ich mich sonst nur wenig. Einige Monate später brauchte ich auch hier nicht mehr. Ich genoß große Anerkennung bei Kindern und Erziehern, aber die Abneigung gegen Schürzen jeder Art ist geblieben.

zurück top