Die alte Kräuterfrau

Es war der letzte Kursonntag und wir saßen mit einer fröhlichen Runde auf dem schönsten Rastplatz, den wir in unserer Umgebung entdecken konnten. Wir labten uns an den mitgeschleppten Rotwein. Die Sonne meinte es gut und ließ die vor uns liegende frische Saat glitzern. Da wir viel Zeit hatten, erzählte ich ihnen von meinem Mißgeschick und warum ich hier war.

In der kleinen Stadt erschallen Lieder zum Advent. Die Turmbläser lassen nach dem Glockengeläut ihre Töne erklingen. Auf dem Markt herrscht bunter Treiben. Viele Händler, einige Käufer und viele Schaulustige streichen durch die engen Marktbudengäßchen. Besonders die Kinder haben viel Spaß an den handwerklich gut geformten Laufrädern, Vogelpfeifen, Hampelmännern, Reifen und Ringen, Steckenpferdchen und Kreisel. Diese bunten Spielsachen lassen jedes Kinderherz höher schlagen. Manches Pfefferkuchenmännchen hat schon den Besitzer gewechselt. Nur noch die bunten Bänder, die ehemals die Leckereien hielten, hängen den Kindern um den Hals. Zwei ältere Mädchen tragen ihre jüngere Geschwister auf den Schultern, damit sie über alle großen Leute hinwegsehen und gut auf die Auslagen schauen können. Diesem recht unsicher anmutenden menschlichen Turm wich jeder aus und schäkerte noch obendrein noch mit der kleinen Gesellschaft. Das wünschende Geplapper ist nicht zu überhören und ermuntert manchen Käufer, für die eigenen Kinder die richtige Spielzeugwahl zu treffen. Auf dem ganzen Markt ist die Luft geschwängert von süßem Gebackenen und heißem Punsch. Die Schaubudenbesitzer, Kerzenzieher, Seifensieder, Leinweber sind dicht umlagert. Einige Glasbläser und Schnitzer zeigen ihr Können und hoffen auf guten Verkauf. Hierher drängen die Mädchen mit ihrer geschulterten Last und schauen zu, was dort entsteht und weil sie so gespannt dreinschauen, erhalten sie so manches Leckere und Brauchbare von den Verkäufern zugesteckt. Ein kleines Holzpferdchen, eine knallrote Weihnachtsbaumkugel und eine winzige farbige halten die kleinen Schelmenreiter in ihren Händen. In dieser reichen Stadt läßt es sich leben und auf guten Weihnachtsgewinn hoffen. Marktschreier preisen lauthals ihre Ware an. Am 24. Dezember wird es dann ruhiger, die Gänse zum Fest sind alle verkauft und es duftet jetzt in der Stadt nach Beifuß, Bratäpfeln und Rosmarin, eine Ahnung von Festtagsbraten, doch der hat noch einige Zeit zum Garen.
Der Markt wird leer und der Tag neigt sich zum Abend. Der unvermeidliche Rauch aus allen Essen legt sich schwer über die Stadt. Es riecht nach Schnee.

Weithin sichtbar hoch über der Stadt leuchtet ein weißer mit mächtigem Turm versehener Bau von starken Klostermauern und Grünanlagen umgeben. Überalterte Mönche und sehr junge Klosterbrüder singen in der Apsis der mächtigen Klosterkirche die Heilige Nacht ein. Allgemeines Schweigen. Die betende große Gemeinde, recht sittsam gekleidet, welche gerade aus den engen Gassen, breiten, ausgefahrenen Ackerwegen über den jetzt verlassenen, sonst vom typischen geschäftigen Treiben belebten Marktplatz sich schleppten, gingen, schlurften, humpelten und hüpften, um dem Choral zu lauschen.
Eine Familie aus dem schönsten, reichsten Bürgerhaus der kleinen Stadt hat wieder einmal die Zeit vertan. Große Hektik, eine zur Eile antreibende Mutter rückt die Haube der jüngsten Tochter zurecht. Indessen steht der Apotheker, mit dem Gehstock auf die Steine des Hausflures klopfend, mit unwilliger Miene da.
Alles zieht los, und der Rest eines kleinen Naschwerks fällt, unbemerkt durch die Eile auf des holprige Straßenpflaster. Eine Alte, am Rande der Stadt lebend, strebt ebenfalls der Mönchsburg zu, denn an diesem Abend sind für Arm und Reich gleichermaßen die schweren Klostertore geöffnet.
Richtig arm ist hier in dieser Weinbaugegend eigentlich niemand, aber ein paar Außenseiter der Gesellschaft gibt es auch hier wie überall hier im Lande.
Die Alte eilt der hastig voranschreitenden Familie nach und achtet nicht auf die ausgetretenen Steine der Straße. Sie kommt dem Speiserest bedenklich nahe, aber in dieser Dämmerstunde des Tages kann sie ihn ohnehin nicht wahrnehmen, und so gleitet sie auf ihn aus und stürzt. Der Schmerzensschrei erreichte die davoneilende Familie nicht mehr.
Allein und verlassen auf der dunklen, kalten Straße und kann sich nicht wieder aufrichten. Ihr Körper tobt, alles schmerzt. Sie betastet vorsichtig ihre Knie und ihre anderen Gliedmaßen. Fast betäubt sie der Schmerz. Sie sitzt da und denkt in ihrem jämmerlichen Zustand an die Gesänge hoch oben über der Stadt. Sie weiß jetzt ganz sicher, Hilf bekommt sie erst, wenn alle Gebete gesprochen und alle Choräle in dieser Heiligen Nacht verklungen sind.
Ihr Rock, der sie sonst so bereitwillig wärmte, versagte angesichts der fühlbar kälter werdenden Nacht seine Dienste. Sie fror erbärmlich. Die starken Schmerzen nahmen ihr einen Teil des Bewußtseins und sie dämmerte, wimmernd vor Schmerz, bis starker Glockenklang sie aus ihrer Taumligkeit aufschreckt. Sie bemerkt, daß es ganz sanft zu schneien begonnen hat und streicht mit der Hand über ihren gespannten Rock, der jetzt aussieht wie eine weiße Schürze. Der Glockenklang läßt ihren Blick weiter bergauf zum Kloster gleiten und sie bemerkt, wie sich aus vielen leuchtenden Stallaternen ein mächtiger, weithin sichtbarer Lichtwurm am Klosterberg abwärts bewegt. Das Licht glitzert im Schnee und zeitweise verschwindet der Lichtwurm hinter Bäumen und im Hohlweg und kehrt dann wie ein goldglühender Lichtschweif wieder. Am Fuße des Berges zerspringt der Lichterlindwurm und tänzelt wie Glühwürmchen im Sommer in alle Himmelsrichtungen auseinander, um Minuten später in den Häusern ein ruhiges Weihnachtslicht zu verbreiten. Immer heller wird die Stadt. Die Restlichter kommen ihr immer näher. Zuerst entdecken Kinder die Alte, von ihnen als vermeintliche Bettlerin verkannt, denn dieses Straßenbild ist ihnen geläufig. Sie teilten mit ihr ihre kleine Leckereien, die sich die klugen Mütter in die Taschen gesteckt hatten, um die Spannung zwischen Messe und Bescherung abzubauen. Die Kinder drängten auf Eile und warfen ihr ihre Gaben auf ihren Rock. Die Erwachsenen, die ihnen nun gemächlich mit den Nachbarn schwatzend folgten, taten es den Kindern gleich und so kamen zu den süßen Teilchen auch einige Silberlinge.
Die Alte erhoffte sich ganz andere Hilfe, konnte sich aber, so halbstarr gefroren, nicht dagegen wehren. Auch die eilige Apothekerfamilie, nicht ahnend, daß sie an dem Unglück der Alten schuld war, warf ein großes Silberstück zu den vielen anderen kleinen Münzen. Freuen konnte sich die Alte über alles, was da mit ihr geschah, nicht - im Gegenteil - Scham überfiel sie, denn sie ist eine verunglückte alte Frau, die einsam am Stadtrand lebt, aber keine Bettlerin.
Als letzte Familie mit mehreren Laternen kam der Barbier nach Hause. Nun hockte die verunglückte Alte genau vor seiner Tür und er konnte den Schlüssel nicht ins Schloß bringen, ohne über sie hinwegzusteigen. Das ging natürlich nicht. Nun leuchteten alle die Alte an und erkannten in dem schmerzverzerrten Gesicht die alte Kräuterfrau, die beileibe keine Bettlerin ist. Sie halfen ihr hoch. Dabei glitt alles, was sie im Schoß hatte, in den weichen, weißen Schnee. Die Kinder suchten alle Silberstückchen zusammen. Es dauerte sehr lange, bis sie den letzten Silberling gefunden hatten und warfen sie mit Schwung auf den Küchentisch. Dort hüpften sie im Herdfeuerschein wie Flämmchen umher. Der Barbier, Vater der Großfamilie, wies an, die alte Kräuterfrau mit den starren schmerzenden Gliedern auf die Ofenbank nahe am Küchenherd zu legen und befühlte dann ihre Gliedmaßen. Er kannte sich aus aufs Haarschneiden, Zahnziehen, Aderlaß und anderes, was hilft. Die Kinder sind inzwischen in die große Stube gestürmt, um nun endlich zu erfahren, ob der Weihnachtsmann auch in diesem Jahr für sie da war. Er war. Die ganze Familie versammelte sich auch dort und ein großes Nachtmahl wurde aufgetragen.

Die Schmerzen ließen erst nach, nachdem der Barbier einen kleinen Schnitt am Kniegelenk machte und das Blut ausfließen konnte. Aber trotz der Wärme und der Fürsorge jagte der Schüttelfrost durch die Glieder der alten Kräuterfrau.
Nachdem nun alles getan war, was der Barbier an Heilkunst aufwenden konnte, um die Schmerzen zu lindern, übernahm jetzt die Hausherrin das Sagen. Die ließ die alte Kräuterfrau in die große Stube an den wärmenden Kamin bringen. Sie setzte sie in den gemütlichen Ohrensessel vom Großvater, der schon längst würdig, dem Hausherrn gegenüber, an der großen Tafel Platz genommen hatte. Die Hausfrau bat die Kinder, die Ofenbank aus der Küche herbeizuholen, um die Beine der Alten darauf zu legen. Es tat ihr gut. Die Köchin hatte schon vor dem Auftragen des Bratens aus der Bratensoße ein Krankensüppchen gemacht. Die Hausfrau goß das Süppchen in eine große Tasse, damit die zittrigen Hände der alten Kräuterfrau alles gut halten konnte. Langsam kehrten die Lebensgeister wieder. Nun konnte auch die Hausherrin ihren Platz einnehmen. Ein Gebet eröffnete die große Festtafel und langsam löste sich bei allen die Spannung. Die alte Kräuterfrau genoß die Fürsorge der großen Runde. Es tat ihr gut, zu spüren, wie ihr geholfen wurde, wie auch sie es für so viele Familien in dieser Stadt getan hatte.


Die ganze Nacht hatte es geschneit. Der Schnee lag üppig über der Stadt und dem Klosterberg und es schneite immer mehr. Die Barbierfamilie beschloß, die alte Frau in ihr Häuschen an der Stadtmauer zu bringen. Sie schoben den Schlitten durch die Einfahrt des Hauses auf die Straße, wo sich bereits die Nachbarskinder im Schnee tummelten. Es ging hoch her. Als sie den Schlitten sahen, spannten sie sich wie viele kleine Pferdchen davor, manche schoben auch und die kleinsten hüpften nebenbei herum. So kam die alte Kräuterfrau mit der lustigen Kinderschar und ein paar Erwachsenen nach Hause.

Das Holz, das der umsichtige Barbiervater mit aufgeladen hatte, verschwand im Ofen und entwickelte bald eine angenehme Wärme im kleinen Häuschen. Die Frau des Barbiers achtete wohl darauf, daß der größte Teil der Silberlinge in ein Beutelchen kamen und mitfuhren.
Der Rest war der Lohn für den Barbier. Die Erwachsenen verabschiedeten sich bald, die Kinder blieben noch ein Weilchen.

Das Ereignis dieser Nacht und des nachfolgenden Tages hatte sich wie ein Lauffeuer herumgesprochen. Die braven Bürger aus den Häusern unterhalb des Klosterberges, die nicht an der vermeintlichen Bettlerin vorbeigekommen waren, beschlossen nun, jeden Tag ein Töpfchen warme Speisen zum Rand der Stadt zu schicken, bis die alte Kräuterfrau wieder fest auf ihren Beinen stehen kann. Schließlich hat sie ihnen mit ihren Kräutern auch schon viele Male hilfreich zur Seite gestanden. So wollte keiner der Barbierfamilie nachstehen.

Die Kinder waren die Überbringer. Die Kräuterfrau dankte es ihnen mit Geschichten und Märchen aus der Zeit, als es noch Wunder gab.
Die Kinder saßen um den Ofen herum, dessen Feuerluke weit offen stand und das Geknister des Holzes eine märchenhafte Spannung verbreitete. Sie hörten der Alten zu, die von dem armen Hirten erzählte, der mit den Schafen des Dorfes über die Wiesen zog. In dieser Zeit bekam er immer genügend Brot, frisches Wasser aus den Bächen und ein wenig Käse. Aber im Winter sah es oftmals sehr karg in seinen Taschen aus. Oft war der einzige Inhalt seine Flöte, auf der er spielte, wenn es im Dorf etwas zu feiern gab. Auch in diesem Winter war ein großes Fest und er spielte den ganzen Tag und bis spät in die Nacht. Am Ende gingen alle fröhlich nach Hause und vergaßen, den armen Hirten zu entlohnen. Er darbte so sehr, daß ihm der Magen knurrte. Ein Wanderbursche, der durch dieses Dorf kam, dachte sich, der Hirte hat die ganze Nacht gespielt und allen viel Freude gemacht, der müßte ja was zu essen haben. Aber wie enttäuscht war er, als der arme Hirte auch nur leere Taschen hatte. Er zog beschämt die Flöte aus der Tasche und ließ den Wanderburschen hineinschauen. Auch er erblickte weiter nichts als ein einziges klitzekleines Samenkörnchen, was im Sommer von den Wiesen hier hineingelangt war. Der Hirte nahm es heraus, es sah aus wie ein Herzchen.
Ja, meinte er, wenn es nur ein klein wenig größer wäre, dann könnten wir vielleicht davon satt werden. Er spaltete mit zarten Fingern, die nur ein guter Flötenspieler haben kann und siehe da - jede Hälfte des Körnchens wuchs. Es wuchs so lange, bis sich jeder an seiner Hälfte sattgegessen hatte. Danach fügten sie die äußeren Splissen wieder zusammen und das Samenkorn nahm seine Urgestalt wieder an. Die beiden konnten vor Staunen kein Wort sprechen. Der Wanderbursche fragte, woher wußtest Du, daß man den weißen Inhalt essen kann? Der Hirte antwortete, daß er den Schafen zugeschaut habe und öfter mal probierte, was sie da naschten. Gerade dieses Körnchen habe ich schon öfter mal gepflückt, es ist nur sehr mühselig und zum Sattwerden hat es nur heute gereicht. Ich war ja auch noch nie so arm und hungrig wie in dieser Nacht. Und wie heißt denn das Kräutlein, woran das Körnchen reif geworden ist, fragte der Wanderbursche weiter. Das weiß ich leider nicht, sagte beschämt der Hirte. Na gut, sagte der Wanderbursche. Wir geben dem Körnchen einen Namen. Wir fanden es in Deiner Tasche und Du bist Hirte. Also heißt es ab heute Hirtentasche. Bist Du einverstanden? Nicht ganz, meinte der flötenspielende Hirte, es ist doch so winzig, nennen wir es doch lieber Hirtentäschel. Gut so? Er warte die Antwort nicht mehr ab und spielte ein Liedchen.

Die Kinder fragten sofort, ob es das Kräutlein Hirtentäschel heute noch gibt. O ja, meinte die gute alte Kräuterfrau, im Sommer, wenn ich wieder gehen kann, ziehen wir über die Wiesen und ich zeige es Euch. Am anderen Tag kam mit dem irdenen Töpfchen voll Speise eine noch größere Kinderschar. Mucksmäuschenstill setzen sie sich in die Runde und warteten, bis die Alte aufgegessen hatte und drängten sie dann, die nächste Geschichte zu erzählen.

Die Kinder blickten sie erwartungsvoll an. Über das gutmütige, von Wetter und Alter zerfurchte Gesicht breitete sich ein Schmunzeln.
In der Zeit, als hier im Lande ein König auf seiner Burg herrschte, gingen hier Trommler umher und verkündeten, daß der alte König für seine liebreizende schöne und Kluge Prinzessin einen Gemahl suchte. Dazu werden alle heiratsfähigen Prinzen, Ritter und Fürstensöhne geladen, die sich am Turnier beteiligen wollen, um die Prinzessin zu gewinnen. Die Spiele zu Pferde werden zuletzt im Zweikampf ausgeführt, Bedingung war, daß jeder der Bewerber eine hier in diesem Lande unbekannte blaue Blume mitbringen sollte.
Alle Leute in den Nachbarländern wußten, daß die Prinzessin die Farbe blau bevorzugte. Auch ihr Gemach war in blau gehalten und ihre Bettwäsche aus wunderschöner weicher blauer Seide, manchmal mit silbernen oder goldenen Bändern versehen. Sogar ihre Kleider und Schuhe waren blau. Ihr Haar leuchtete goldblond in der Sonne, und ihre Augen waren blau wie der helle Himmel. An den Spitzen ihrer kleinen Krone waren blauleuchtende Edelsteine eingesetzt.
Nun war der Sommer gekommen und genau in dieser Zeit sollten die Wettspiele am Hofe des alten Königs stattfinden. Auch durch unsere kleine Stadt zogen einige Bewerber, stolz und fest in den Sätteln sitzend und ihre Pferde antreibend in voller Erwartung.
Die ersten Wettkämpfe waren schon in vollem Gange, da kamen noch zwei Reiter in vollen Rüstungen, die in der Sonne hellbläulich schimmerten. Jeder brachte der Prinzessin, die unter einem blauen Baldachin saß und den Spielen zusah, einen Strauß wunderschöner blauer Blumen. Niemand kannte die beiden Ritter und auch ihre Blüten waren allen fremd.

Sie stellten sich vor. Der erste mit den hellblauen Federn war der Ritter von Sporn, der zweite, dessen Federn viel dunkler blau waren, nannte sich Ritter Eisenstark. Sie baten um die Gunst, noch an den Ausscheidungskämpfen teilnehmen zu dürfen. Da die ersten Runden schon entschieden waren, traten sie gegen die Besten an blieben während des ganzen Rennens rund um die Schloßanlagen ganz vorn und wurden beide Sieger. Auch bei den weiteren Kämpfen mit schweren Lanzen und beim Abhängen der Kränzchen, die natürlich auch aus blauen Blumen bestanden, waren beide wieder gleich stark. Das Hindernisspringen bewältigten beide gleichermaßen ohne Fehler. Der Tag ging schon zur Neige und alle Spiele, die zu Pferde ausgetragen werden konnten, ohne den Gegner ernstlich zu verletzen, waren beendet.
Die Kraft der beiden Ritter stellte die aller anderen in den Schatten. Beide Ritter traten nun vor die Prinzessin. Die Spannung stieg. Wie würde sie sich entscheiden? Sie hielt immer noch die beiden Blumensträuße in ihren Armen, freute sich an ihnen wie an den starken Rittern.
Sie sprach: Da Ihr beide gleichwertig seid, ist es mir nicht möglich, mich für einen von Euch zu entscheiden. Um euch große Ehre widerfahren zu lassen, werde ich wenigstens Euren Blumen je einen Namen geben. Sie hob die hellblauen Blumen hoch und taufte sie auf den Namen Rittersporn. Sie nahm das zweite, viel dunklere Blumengebinde hoch und taufte es auf dem Namen Eisenhut. Das zuschauende Volk jubelte über diese weise Entscheidung. Der Tag war wunderschön.
Da sprengte noch ein letzter Reiter herein. Im Schloßhof machte sich eine eigentümliche Spannung breit. Aber diese Geschichte erzähle ich Euch morgen.

Ihr könnt Euch doch sicher an den Reiter erinnern, der noch ganz zuletzt in den Schloßhof sprengte und nicht mehr an den Wettspielen teilnehmen konnte. Er stellte aber fest, daß nach diesem bewegten Tag die Prinzessin immer noch keinen Gemahl gefunden hatte. Einen Wimpernschlag lang schaute er ihr in die himmelblauen Augen und war für immer und ewig an sie verloren. Er war so betroffen, daß seine Gedanken weithin abwanderten und er sah plötzlich die gutmütigen blauen Augen seiner Amme, fühlte plötzlich ihre weichen liebkosenden Hände auf seinem Haar und hörte, wie sie noch immer zu ihm sprach.
Die alte Amme, eine weise Frau, führte ihn in seinen ersten Kinderjahren, gleich nach dem Tode seiner Mutter. Der König hatte sich anderweitig umgesehen und zeigte noch kein Interesse an dem Knaben, der noch ein Brustkind war.
Der junge Prinz wuchs nun ungestört vom höfischen Gehabe auf und entwickelte sich ganz prächtig. Er wurde ein sehr lebhafter Knabe, der sich an der Natur freute, der sich jedes Käferlein genau anschaute und jeden Vogel, der sich hierher verflog am Flug erkannte und an seinem Gesang unterschied. Seine Amme war mit der Köchin des Schlosses befreundet, die sich für ihre Küche einen Kräutergarten angelegt hatte. Der Kräutergarten wurde zu seinem Lieblingsplatz, weil er dort ungestört träumen konnte. Manche Schramme, die er sich als kleiner Windfang immer mal holte, heilten die Kräuter der Köchin. Die Düfte der klitzekleinen, fast unscheinbaren Blüten bezauberten ihn von Jahr zu Jahr mehr. Er fragte, nachdem er manchen wohlschmeckenden Tee in der Schloßküche getrunken hatte nach dem Namen der verschieden und später auch noch nach ihrer Wirkungsweise. Keine kindlichen höfischen Spiele begeisterten ihn so, daß er die alte weise Köchin, die Freundin seiner liebevollen Amme, hätte je vergessen können. Immer wieder zog es ihn zu ihr und er entzog sich gerne der strengen Erziehung des Rittmeisters. Lernen mußte er aber trotzdem das Reiten in voller Rüstung, das Kampfreiten mit schweren Lanzen, den Zweikampf am Boden mit allen Kriegsgeräten, die jeder Prinz beherrschen mußte, auch das Bogenschießen mußte er erlernen, wobei das Spannen des Bogens immer das Schwerste war. Er beherrschte alles, trotzdem war es seine Sache nicht. Nach dem Ende seiner harten höfischen Ausbildung erhielt er seinen Rappen als Geschenk. Er ist auch heute sein Begleiter.
Durch gutem Zuspruch der beiden Frauen lernte er, das Pferd zu seinem Freund zu machen. Es wurde sein bester Diener und er erkundete auf jedem Ritt mit ihm die weitere Umgebung. Wenn er wieder mal Erholung suchte im Kräutergarten, brachte er dem Pferd immer ein paar Leckerbissen mit, zum Beispiel große saftige Blätter des Löwenzahns. Auch das knisplige Rosmarin verachtete er nicht. Ein Sträußchen wohlduftender Kräuter trug der Rappe immer als Schmuck, wenn sie weit ausritten.
All diese Erinnerungen gingen dem Prinzen durch den Kopf, als er die Prinzessin anblickte.

In diesem Augenblick knarrte die Tür des alten Häuschens. Die zuhörenden Kinder drehten sich sofort um und sahen den Apotheker hereinkommen. Er entschuldigte sich, die kleine Runde gestört zu haben und trug der Kräuterfrau sein Anliegen vor, nachdem er sich nach ihrem Befinden erkundigt hatte. Sie dankte sehr freundlich und meinte, die Abwechslung durch die Kinder täten ihr gut und das Knie würde sich langsam beruhigen und abschwellen. Er bat um ihre getrockneten Kräuter, da sein Vorrat aufgebraucht wäre. Der Apotheker zählte auf, was er alles brauchen würde. Die Kinder halfen ihr, die geforderten Kräuter, die in der Nebenkammer trockneten, zu holen. Die Kinder brachten einen Hocker in die Kammer, die Kräuterfrau setzte sich und zeigte ihnen, welche Bündel sie für den Apotheker abhängen sollten. Die Kinder hatten viel Spaß dran und die jüngste Tochter des Apothekers, der am Heiligen Abend das Naschwerk verloren gegangen war, half tüchtig mit. Sie war sehr an den geheimnisvollen Dingen interessiert. Sie steckte voller Fragen und freute sich auf den Frühling, wenn sie mit der Kräuterfrau durch die Wiesen gehen würde. Die Kinder beluden den Schlitten mit den in Tücher eingewickelten Bündeln und fuhren sie gern dem Apotheker in die Stadt. Ein lustiger lauter Abschied von der Kräuterfrau und vergessen war der Prinz, aber nur bis zum nächsten Tag.

Die Kinder fanden sich am nächsten Tag alle wieder ein. Sie brachten wieder eine leckere Speise für die alte Kräuterfrau mit, die ihrerseits ein paar Bratäpfel in dem Backrohr für die Kinder vorbereitet hatte. Das wurde ein gemeinsamer Festschmaus. Danach baten die Kinder, sie möge doch die Geschichte vom Prinzen und der blauen Prinzessin weitererzählen.
Ja, sagte die alte Kräuterfrau, er steht immer noch mit seinem Korb voller wunderbar duftender Kräuter, den er von der Kräuterfrau erhielt, als er hier am Morgen vorbeikam. Diese Kräuterfrau war meine Ururgroßmutter, die auch schon hier lebte und allen half, die Heilung brauchten.
Was ist das für ein herrlicher Duft, der aus deinem Korb aufsteigt, fragte die Prinzessin und riß dem Prinzen aus seinen Erinnerungen. Er konnte immer noch nicht seine Augen von der wunderschönen Prinzessin lassen und überreichte ihr den Korb voller duftender blau blühender Kräuter. Er kannte sie alle, konnte der Prinzessin alle Namen nennen und dazu auch gleich ihre Heilwirkungen, denn das hatte er alles von seiner guten Köchin aus seines Schlosses Garten gelernt. Er war glücklich darüber, eine erschöpfende Antwort zu geben und fing an, sie mit dem Inhalt des Körbchens bekannt zu machen. Da war der Duft des Thymians, dessen zarte Blättchen gut im Salat schmecken und der Tee daraus bei Lungenbeschwerden hilft, dann griff der Prinz nach dem Zweiglein Lavendel, welches im Bad seine Wirkung für den ganzen Körper tut und reichte es ihr. Das Stiefmütterchen erfreute sie sehr und der vielblumige Gundermann, den man auch Männertreu nennt, belustigte sie. Im Körbchen war natürlich auch die schöne blaue Kornblume vorhanden, die am Feldrand zu finden ist und sich mit der Wegwarte bei Sonnenaufgang einen täglichen Blühwettstreit liefert. Blauer Ehrenpreis und blühender Leinstrauch fanden sich auch im Korb. Diese beiden unscheinbaren Blüher sind sehr wertvoll. Der Ehrenpreis hilft gegen Rheuma und Gicht, die bekannte Kalte-Schlösser-Krankheit und der Leinsamen hilft gegen Zahn- und Ohrenschmerzen. Das Leinöl schmeckt auf heißen Pellkartoffeln und hilft gegen rauhe kranke Haut. Er bot ihr den blühenden Salbei an, mit der Bitte, sie solle darauf beißen und die Prinzessin erfuhr die Erfrischung durch die Düfte und Öle, die dabei frei wurden. Die Pfefferminze, die bläulich bis lila blüht, duftet sehr stark und lud sofort zum Tee ein. Mittendrin in dem ganzen blaublühenden duftenden Kräutern saß wie ein dicker goldgelber Fleck mit dem letzen Sonnenstrahlen des Tages spielende sternförmige Blütendolde. Es war das Johanniskraut, das zur Sommersonnenwende, also Ende Juni, in höchster Blüte steht. Das paßte genau zur Prinzessin, blau wie ihr Kleid war auch der Kräuterinhalt des Körbchens und die Farbe des Johanniskrautes kehrte im Haar der Prinzessin wieder. Ein treffliches Geschenk für die wunderschön
e Prinzessin. Sie bewunderte den hübschen geschmeidig und kraftvoll wirkenden Prinzen sehr, der so viel über all die unscheinbaren Pflanzen wußte und wünschte sich auch, eine solche Pracht in ihrem Schloßgarten zu haben. Trotz eigenwilliger Werbung des Prinzen, konnte sie sich nicht entschließen, ihn zum Gatten zu nehmen. Der Tag ging zu Ende mit einem großen Feuer mitten im Schloßhof, denn es war ja die Johanninacht. Ein Festmahl wurde unter freiem sternklaren Himmel gehalten und dazu gesungen, getanzt und erzählt. Alle waren guter Dinge, nur die Prinzessin und der junge Prinz waren in bedrückter Stimmung. Er konnte die Augen nicht von ihr lassen und sie beschäftigte sich nur noch mit dem duftenden Inhalt des Körbchens. Immer und immer wieder nannte sie Namen und Verwendungszweck der Kräuter und in ihren Gedanken verfestigte sich ihr Wunsch, solche Blüten in ihrem Schloßgarten zu haben. Das blieb dem Prinzen nicht verborgen. Noch in dieser Nacht sattelte er seinen Rappen und ritt unbemerkt davon. Was er dann erlebte und vorhatte, um die Prinzessin doch noch zu gewinnen, erzähle ich Euch morgen. Es wird draußen schon schummrig und es ist gut, wenn ihr noch im Hellen nach Hause kommt. Sagt Euren Eltern Dank und auf Wiedersehen bis morgen.

Der duftende Tee erfüllte den ganzen Raum, die alte weise Kräuterfrau hatte ein gutes Gemisch gegen Erkältung jeder Art aufgebrüht. Anis, Pfefferminze Salbei, Thymian und Fenchel ergaben einen sehr wirksamen Trunk gegen Husten, Schnupfen und Heiserkeit. Mit ein wenig Honig schmeckte alles viel besser. Die Kinder tranken ihn gerne, aber noch lieber hörten sie ihr zu.
Der junge, sehr verliebte Prinz ritt die ganze Nacht und hatte den Plan, sich bei der weisen Kräuterfrau die richtigen Pflanzen zu holen für den Kräutergarten der Prinzessin. Er selbst wollte verkleidet als Gärtner im Schloß der Prinzessin vorstellig werden und seine Dienste nebst Pflanzen anbieten. Er ließ seinen Rappen bei der alten Kräuterfrau zurück, ebenso seine Gewänder. Viele Pflanzen, die gelb, rot und weiß blühten und ebenso gute Heilkräfte besaßen, packte er zuerst in die riesige Kiepe zum Beispiel Arnika, Veilchen, Mohn, Knoblauch, Majoran, Waldmeister, Ringelblume, Königskerze, Petersilie, Pimpinelle, Rosmarin und Kapuzinerkresse. Der Weg zurück, und dazu noch zu Fuß wurde ihm sehr schwer. Er hatte das Gefühl, der Weg würde immer länger. So kam er gerade zur rechten Zeit, als alle Pflanzen, die er mit sich trug, die richtige Pflanzzeit hatten. Halb zerrissen, müde und ziemlich ermattet kam er an das Stadttor, hinter der sich der Schloßberg befand, in dessen Mauern seine geliebte Prinzessin lebte. Der Korb, den ihr in der Johanninacht der Prinz schenkte, stand in ihrem Zimmer, doch die Kräutlein waren längst getrocknet. Die Erinnerungen an den von ihr abgewiesenen Prinzen wurden immer stärker und es entstand in ihr eine unbändige Sehnsucht nach ihm, die sie ganz traurig machte. Gerade da meldete sich ein abgerissener Gärtnerbursche mit einer riesigen Kiepe eigentümlichen Inhalts, hier und da schauten Wurzeln heraus. Er bat inständig darum, sich in die Dienste der Prinzessin stellen zu dürfen. Nach langem Für und Wider wies man ihn im Gesindehof einen guten Schlafplatz an. Die Köchin hatte er als Erste von seinem Kräutergarten überzeugt. Sie freute sich auf die Zeit, in der sie nicht nur Sauerampfer, Petersilie und Schnittlauch an die Soßen und Suppen machen mußte. Nach einem Gespräch mit dem Haushofmeister bekam er einen herrlichen sonnigen Flecken Erde am Rande der Schloßmauer, genau gegenüber dem Fenster der Prinzessin, die ihm von dort oben gerne und interessiert zusah, wie der Gärtnerbursche den Kräutergarten für sie anlegte. Einen ganzen Herbst lang pflanzte der junge verliebte Prinz alles, was er an Pflanzen mit sich führte. Die Prinzessin freute sich und nahm Ant
eil am Fortgang der Arbeiten, unterhielt sich oft mit ihm und sagte ihm ihre Wünsche, wie sie es gerne angeordnet gehabt hätte. Er beriet sie aufs Beste. In ihrer Nähe fühlte er sich wohl. Ihre Gegenwart beflügelte ihn und er arbeitete mit noch größerer Sorgfalt und Umsicht. Sie war nur guter Sinne, wenn sie im Kräutergarten beim Gärtner war, den übrigen Tag war sie vor Sehnsucht krank. Zu ihrem Kummer erkannte sie ihren Prinzen im Gärtnerburschen nicht wieder. Sie mochte diesen Gärtnerburschen und immer, wenn sie bei ihm war, flogen ihre Gedanken zu diesem Prinzen, den sie so leichtfertig abgewiesen hatte.
Der junge Prinz in der Gärtnerkleidung lernte seine Prinzessin immer besser kennen und seine Sehnsucht nach ihr wurde immer stärker. Eines Tages, als er schon die gut angewachsenen Lavendelsträucher kurzschnitt, damit sie im Frühjahr gut austreiben und stark wachsen, hatte die Prinzessin zu ihm in den Garten gefunden. Die Herbstsonne schien noch warm und strahlte der Prinzessin genau ins Gesicht. Er entdeckte ihre rotgeweinten Augen und wagte sich, nach ihrem Kummer zu fragen. Sie blickte sich nach allen Seiten um, um zu sehen, ob sie auch wirklich allein im Kräutergarten waren. Dann erzählte sie ihm alles, was ihr schon wißt und ihm nicht verborgen blieb. Überglücklich nahm er ihre Sehnsucht zur Kenntnis, er wußte nun, daß auch sie ihm liebte. Er fragte sie nun, ob sie mit seiner Arbeit zufrieden wäre. Sie nickte nur. Er erklärte ihr nochmals die ganze Gestaltung der Kräuteranlage und steckte mit ihr Schilder an die Pflanzen, damit sie die Namen nicht vergäße. Er hatte nur einen Gedanken, ihr zu offenbaren, aber wie?
Und wie er es tat, erzähle ich Euch morgen.

Sonnenstrahlen ließen den Schnee glitzern und von weiten hörte die Kräuterfrau die Kinder kommen. Da sie ihr Knie besser bewegen konnte, öffnete sie ihnen die Tür. Ein Schwall frischer Winterluft erfüllte den kleinen Raum. Die Kinder nahmen sofort ihre gewohnten Plätze ein, kuschelten sich aneinander und warteten nun geduldig auf die Geschichte, die nun folgen sollte.

Als der junge Prinz im Sommer bei der Kräuterfrau war und sich die Kiepe mit den Kräutern aufhocken wollte, gab ihm die Kräuterfrau noch etwas wichtiges mit. Es waren drei goldene Knöpfe, die mit seinen Wappen versehen waren. An seinem Gewand fehlten sie nun. Er wickelte sie in sein Schnupftuch und steckte sie in seine Hosentasche. Sie sagte dem erstauntem Prinzen, zu gegebener Zeit würde er sie brauchen und sehr nötig haben. Er nahm damals dankend Abschied.
Nun war seine Arbeit getan. Der junge Prinz saß ratlos in seiner Gesindekammer, sein leerer Wandersack hing am Türhaken. Da fiel ihm ein, was ihm die gute weise Kräuterfrau mit auf dem Weg gegeben hatte. Er schaute sofort nach, ob die Knöpfe noch da waren. Sie glänzten in seiner Hand und es kam ihm die Idee, sie an die Schilder im Kräutergarten zu heften, an das Vergißmeinnicht, an den Hagebuttenstrauch und an die kleinen Lavendelstöcke. Dann wurde es finster. Zu Beginn des Winters waren keine Arbeiten im Kräutergarten zu erledigen. Er nahm unbemerkt von allen seinen Abschied. Er machte sich auf den Weg zur Kräuterfrau, die ihn schon zurückerwartete. Als sie im Sommer die Knöpfe von seinem Gewand abgetrennt hatte, setzte sie jetzt ein paar große flache Holzscheibchen, auf die sie Blüten gemalt hatte. Ein Vergißmeinnicht, eine Heckenrose und einige winzige Lavendelblütentüpferchen. Das Gewand sah recht putzig aus. Der junge Prinz staunte nur. Nach einem Bad im warmen Kräuterbottich fühlte er sich bereit, in seine Prinzengewänder zu schlüpfen. Sie salbte ihm die zerschundenen Hände und gab ihm noch einiges Ringelblumenfett für später mit. Sein Pferd stand gut im Futter, er dankte und zahlte gut für alles, was ihm die Kräuterfrau angedeihen ließ. Nach zwei Nächten der Unterhaltung und Erholung bei ihr machte er sich auf den Weg nach Hause auf sein Schloß.

Unterdessen bekam die Prinzessin Kunde davon, daß der Gärtnerbursche verschwunden wäre. Traurig und enttäuscht ging sie in den leicht verschneiten Kräutergarten, um nach den letzten Pflanzungen zu sehen und an die letzten Gespräche zu denken. Aus dem in der Sonne glitzernden Schnee leuchtete weithin drei goldenen Punkte. Die Erwartung ließ sie immer schneller laufen. Nie zuvor hatte sie diese Punkte im Kräutergarten gesehen. Sie stellte fest, daß sie an den Schildchen des Vergißmeinnichts, der Hagebutte und des Lavendelstöckchens nur leicht festgemacht waren. Sie nahm sie an sich und besah sich ihren Fund genau. Sie erinnerte sich, diese Knöpfe am Gewand des Prinzen gesehen zu haben. Nun war ihr klar, daß der Prinz der Gärtnerbursche gewesen sein mußte. Sie ärgerte sich, daß sie ihn nicht genauer angesehen hatte. Nun gab es nur eins: Sie mußte den verlorenen Gärtnerburschen finden.
Einige Tage später fuhr im leichten frischgefallenen Schnee ein Schlitten durch die kleine Stadt. Er hielt öfter an und der Kutscher fragte, ob hier vielleicht ein junger Gärtnerbursche vergeblich nach Arbeit gefragt hätte. Keiner hatte so einen gesehen. Ein braver alter Holzfäller schickte den Schlitten zur Hütte der alten Kräuterfrau. Ein Gärtner könnte vielleicht dort bei ihr Unterkunft bekommen und ihr den Winter über beim Teemachen helfen. Der Schlitten flog förmlich dahin und hielt erst vor der Hütte der Kräuterfrau an. Der Kutscher stieg ab, schon etwas durchgefroren und klopfte heftig an die Tür. Die alte Kräuterfrau stellte sich ahnungslos und ließ alle Fragen über sich ergehen, nachdem sie Kutscher und Prinzessin mit Begleitung in ihre armselige Hütte geladen hatte. Sie bereitete heiße Milch mit Honig und einem stärkenden Kräuterextrakt zu und reichte es gerne ihren suchenden fragenden Gästen.
Die Prinzessin fragte nach einem vielleicht hier vorbeigekommenen Gärtnerburschen und die Kräuterfrau saß immer noch mit unbeweglicher Miene da und hörte einfach nur zu. Die Prinzessin fragte jetzt sogar nach einem jungen Prinzen, der einen prächtigen Rappen ritt. Die Kräuterfrau rührte sich noch immer nicht. Da holte die Prinzessin aus ihrem Beutel die drei goldenen Knöpfe heraus und erzählte ihr, wie sich alles zugetragen hätte. Das alles wußte die alte Kräuterfrau schon längst. Sie besah sich umständlich die Knöpfe und meinte, so etwas schönes noch nie gesehen zu haben. Da wurde die Prinzessin ganz mutlos und vertraute der Kräuterfrau ihre Gefühle an. Sie müsse den Prinzen unbedingt finden, weil sie glaube, daß auch er sie liebt. Da erhellten sich die Züge der Alten und sie riet ihr, dem jungen Prinzen ohne Knöpfe am Gewand in dieser Richtung zu folgen, denn sie hätte vor ein paar Tagen einen solchen Reiter vorbeireiten sehen. Die Reisenden wärmten sich noch durch, bekamen heiße Steine mit, um sich während der langen Schlittenfahrt daran wärmen zu können. Die Kräuterfrau sah ihnen noch lange nach mit dem Wunsch, daß die Prinzessin ihn finden möge.
Oftmals mußte die Fahrt unterbrochen werden, um nach dem Prinzen und den Weg zu fragen. Nach Auskunft der Leute war der Reiter mit den Blumenknöpfen immer gerade kurz vor ihr hier vorbei gekommen. Die Prinzessin hatte den Eindruck, daß sie überall schon erwartet wurde. Jedesmal wurde sie auf das beste bedient und es wurde ihr immer guter Bescheid zuteil. Je näher sie dem Reich des Prinzen kam, je bergiger wurde die Landschaft. Herrlich verschneite Wälder durchfuhr sie. Sie gewann den Eindruck, daß nur für sie die Wege vom Schnee freigemacht wurden. Sie trafen Waldarbeiter, die ihr beflissentlich den Weg wiesen. Sie kamen an kleinen Berghütten vorbei. Sie bekamen auch dort beflissentlich Auskunft, Speisen und Getränke, ein gutes Nachtlager für alle und Ruhe für die Pferde. Alles schien ihr wie vorbereitet.
In den nächsten Tagen kamen sie dem Schloß des Prinzen immer näher, die Leute, die sie befragten, wurden immer freundlicher und sie sprachen viele gute Worte über ihren Prinzen. Die Spannung der Prinzessin wuchs immer mehr. Viele Tage waren sie schon unterwegs. Bald sahen sie in der Sonne die Zinnen eines Schlosses mit riesigem Bergwall. Die Prinzessin meinte, am Horizont Reiter zu sehen, die näher kamen. Ihr wurde ein freundliches Willkommen geboten. Sie geleiteten sie zum Schloß. Sie staunte nicht schlecht über den großzügigen Empfang. Vor dem Burggraben auf der Zugbrücke stand im Sonnenglanz der Prinz mit den drei Blütenknöpfen am hellblauen Gewand. Sie wies sich mit den drei goldenen Knöpfen aus. Er war froh, daß ihm die richtige Prinzessin gefolgt war und schloß sie überglücklich in seine Arme.
Nun wurde das Fest gefeiert, vom dem er schon in der Johanninacht geträumt hatte und wofür er so viel auf sich genommen hatte. In Winter blieb das Paar auf dem Schloß des Prinzen und im Sommer ritt der ganze Hofstaat zum Schloß der blauen Prinzessin. Jedesmal bei der Hin- und Rückreise machte das junge Königspaar bei der hilfreichen Kräuterfrau Halt. Auf Befehl des jungen Königs wurde aus der armseligen Hütte ein prächtiges Anwesen. Dadurch hatte das Paar immer einen guten Unterschlupf und sie freuten sich auf die Unterhaltung mit ihrer alten Freundin. Die Kräuterfrau erkundigte sich immer nach dem Gedeihen des Kräutergartens, den der junge verliebte Prinz mit ihrer Hilfe angelegt hatte. Nun pflegte das junge Paar den Kräutergarten gemeinsam und erweiterten ihn zu einem wunderschönen Kräuter- und Blumenpark. Es entstanden Brunnen, Teiche, größere Wiesenflächen, wo alles wuchs, wie es wollte, große Laubengänge sowie lauschige Liebeslauben.
Vor zehn Jahren, als im Winter auf dem Prinzenschloß die Verlobung bekanntgegeben wurde, konnte im Juni darauf zur Sommersonnenwende die Hochzeit des jungen Paares auf dem Schloß der Prinzessin gefeiert werden. Da war der Kräutergarten noch sehr klein. Aber er wuchs ständig. Am zehnten Hochzeitstag des jungen Königspaares fand wieder ein großes Fest statt. Das junge Königspaar tat allen kund, daß ab jetzt jedes Jahr der wunderschöne Park einen ganzen Tag und die Johanninacht für Ihr Volk geöffnet ist.
Jedes junge Paar, das sich in dieser Nacht das Jawort geben wollte, konnte es in diesem Park tun. Das Hochzeitsfest wird vom Königspaar ausgerichtet. Jedes Jahr hatte nun das Königspaar heiratswillige Paare aus dem ganzen Reich als Gäste. Es sprach sich herum, daß sich Ehen, die hier im Liebespark in der Johanninacht geschlossen wurden, glücklich und von Bestand waren.

Die Kinder waren mit dem Ausgang der Geschichte sehr zufrieden und baten die Alte im kommenden Sommer auch die Johanninacht mit ihr erleben zu können. Sie würden auch alle viel Strauchwerk für das Feuer sammeln. Das muß aber unser Geheimnis bleiben, meinte die Alte. Bis dahin hat mein Knie lange genug Zeit zu heilen.
Im Sommer in der Johanninacht trafen sich die Kinder mit ihrer alten Kräuterfrau auf der kleinen Wiese am Bach. Am knisternden Lagerfeuer erzählten sie sich die ganze Nacht Geschichten, die sie sich selber ausgedacht hatten.

zurück top