Der ungewönliche Weihnachtsbaum

Jedes Jahr vor Weihnachten, wenn es schon nach Bratäpfeln duftete, es draußen empfindlich kalt wurde, warteten alle auf Schnee. Erst wenn es um diese Zeit wenigstens ein bißchen geschneit hat, dann kam die Frage auf, wer ist in diesem Jahr verantwortlich, den Weihnachtsbaum zu besorgen. Irgendwann in diesen Tagen brach diese Familiendiskussion beim Abendbrot aus. Wer damit anfing, dem anderen den Kauf zuzuordnen, ist hinterher nicht mehr feststellbar. Irgendwann, als unsere Kinder schon sehr kritikfähig waren, gab es kräftige Beschwerden über dem vom Hausherren oder der Hausfrau mitgebrachten Weihnachtsbaum. Dieses Thema dürfte in unseren Breiten schätzungsweise jede dritte Familie erfassen. Er ist entweder zu klein, zu ausladend, sogar schief, ihm fehlt das gute Mittelstück, er ist zu eng gewachsen, kein Platz für die Kerzen und so ließe sich diese Mängelfindung beliebig weiterführen.

Für all diese Unzulänglichkeiten wurden aber in jeder Familie, je nach kreativem Erfindungsreichtum, Abhilfe geschaffen. Mit einem unsichtbaren Faden irgendwie geradeziehen, ein paar nachgekaufte Zweige eindrehen oder die dicken Enden einfach absägen, und der so gestaltete Baum paßt in jede kleine Ecke wie immer und reißt auch die Decke nicht auf. Immer wurden alle geliebten Habseligkeiten wieder untergebracht, denn Heiligabend fällt nicht aus.

Wie seltsam der Baum ausfallen kann, haben wir in unserer Familie erlebt.

In diesem Jahr verhielten sich alle Familienmitglieder sehr abwartend mit dem Baumkauf. Es näherte sich der 23.12. und auf dem Balkon war immer noch nichts Nadliges zu sehen. Nach einigem scharfen Hin und Her blieb der Weihnachtsbaumkauf also bei Suse hängen.
Armes Kind.! - - - -
Sie stiefelte nun zum Weberplatz, in der Hoffnung dort noch irgendeinen grünen Besen zu erhaschen. Dort fegte der alte Verkäufer, kaltgefroren und mürrisch die letzten Fitschel zusammen und meinte, grade von dem kargen Rest sich nun ein Feuerchen zu machen.
Na bloß nicht, ich brauch doch noch einen Weihnachtsbaum.
Fassungslos wurde sie beobachtet, wie sie mit größter Hingabe und Phantasie noch an diesem oder jenem grünschimmernden Gerippe etwas schönes zu finden versuchte. Einer der schlimmsten Exemplare stand da unbeachtet an die Seite gelehnt. Er stand schon lange da. Fast hätte sie ihn übersehen. Mit humorigem Schalk in ihren Augen und noch ketzerischen Gedanken an ihre bummelige Familie nahm sie ihn mit nach Hause. Der alte Mann band ihn ihr nicht einmal mehr zusammen. Er meinte es lohne sich sowieso nicht, aber Geld nahm er, wobei ich überzeugt war, daß sie sehr gefeilscht hat.
Sie schleppte nun dieses Ungetüm unter den mitleidigen Blicken der eiligen Passanten nach Hause und wagte sich ihn mir zu präsentieren.
Wie sie es tat, war schon eine Sonderleistung und stand den so gepriesenen italienischen Marktweibern in nichts nach. Ich war völlig verdutzt, daß sie mit so einer Krücke hier auftauchte. Sie stand vor der Tür, hielt mir das Prachtstück entgegen, ich stand ihr genau gegenüber auf der wärmenden Seite des Türspaltes und ließ die auf mich eindrängende Suse nicht mit dem Baum in die Wohnung. Spaßig überspitzt gespielte Empörung von Suse, und erneut pries sie die Vorteile dieses eigenwilligen Baumes an. Er war hoch gewachsen hatte eine lange gut verzweigte Spitze und dann eine nicht endenwollende freie Stelle, die, man sah es genau, vom vielen Hin- und Herstellen richtig blank und abgewetzt war, ehe sich ein richtig dichtes Nest an eng verzweigten, schon nadelnden Ästen ergab.
Es schaute wie eine Mutation aus.
Es war unmöglich, dort mit der Hand hineinzufassen geschweige noch dort irgendwo Kerzen unterzubringen. Danach kam noch ein dickes Ende, das aussah wie ein Stubben, den sie mir sofort als prima Badeofenbrennholz in Aussicht stellte. Für eine warme Wanne reicht es sicher.
Nachdem mir das alles zu dumm war, sagte ich, sie sollte nun diese erbärmlich nadelnde Krücke an die Seite stellen und den richtigen Baum vom Boden holen.- - -
Da war aber keiner.---
Suse blieb dabei, den einzigen, wahren, möglichen Weihnachtsbaum nebst eiskalten Händen mit nach Hause gebracht zu haben. Ich gab endlich auf.
Meine Hoffnungen auf ein schönes friedliches Lichtermeer schwanden dahin. Suse konnte endlich vom kalten Treppenhaus in die warme nach allen Wohlgerüchen Asiens duftende Küche eintreten mitsamt dem nadelnden Etwas. Er wurde von ihr an das Fenster gelehnt, dem einzigen freien Platz, mit der Bemerkung, er braucht nicht mehr auf den Balkon, es seien ja nur noch Stunden bis Heiligabend und außerdem sollte ich mich an ihn gewöhnen.
Damit verließ sie naschenderweise die Küche. Ihr Auftrag war erfüllt.

Nun erfaßte mich das Problem, was soll ich bloß mit dem miesen Ding anfangen. Hatte aber noch so viele Vorbereitungen, daß ich mich nicht weiter um ihn scherte. Er stand nur nadelnd und langsam auch etwas duftend in der Küche herum.
Als wir ins Bett gingen und endlich Ruhe einkehrte, war ich noch weit, weit weg von einer brauchbaren Idee, was wir nun als Weihnachtsbaum nehmen könnten. Ich lag lange wach.

Da fielen mir die Jahre ein, in denen mein Vater mit mir durch die Wälder zog und wir immer den allerschönsten Baum fanden und voller Stolz nach Hause trugen. Mir wurde plötzlich klar, daß es immer ein ganz Besonderer war. Einmal befestigte Vater um die Stammitte herum eine Platte, auf der die ganze Weihnachtsgeschichte Platz hatte. Die Heilige Familie im Stall bei Ochs und Esel, der Engel, die drei Könige aus dem Morgenland, die vielen Schafe und ihre Hirten mit Hund. Alles war immer wieder neu. Besonders schön waren seine Geschichten, die er während der Vorbereitung des Weihnachtsbaumes dazu erzählte, die jedes Jahr die alten, aber immer wieder neue waren. Ich brannte immer auf seine so bildhaften Erzählungen.

Diese Erinnerungen halfen mir dabei, den Besen gedanklich in einen prachtvollen Weihnachtsbaum zu verwandeln. Ich knobelte herum, kroch aus dem warmen Bett griff mir ein Zentimetermaßband und fing an meine Ideen zu präzisieren.
Also die Länge müßte sich verringern und die Lampe käme an einen anderen Platz an der Decke und der Weg wäre frei zum Einzug des Baumes.
Die Idee war klar und unumstößlich. Jetzt bestand nur noch die Aufgabe, alles dem Ingo plausibel zu machen, daß er uns den Baum waagerecht über den Tisch hängt. Auf das kahle Ende müßten die Kerzen angebracht werden, dann hätte auch das alles seine Daseinsberechtigung und ist bestens ausgenutzt.
Ich war so sehr angetan von meinen Ideen, daß ich Ingo noch in dieser Nacht weckte und ihm mit meinen Gedanken ins Ohr kroch. Es war ein hartes Stück Arbeit, ihn zu überreden. Dann gingen wir am Morgen ganz heimlich ans Werk. Die Kinder durften nun nicht mehr in die Stube. Es wurde gesägt, geflucht, Dreck gemacht, wieder aufgesaugt und der Baum von seinem Drehwurm durch Verspannen in alle vier Richtungen befreit. Dann wurde das grünlich anmutende Gestänge mit allen Würden ausgestattet, überflutete die Stube mit seinem warnen Licht und war nun unser Weihnachtsbaum.
Diesen zu entdecken fiel unseren beiden Kindern, die sich nach Ertönen des Glöckchens durch den Türspalt drängten, sehr schwer. Es war Kerzenlicht, aber an der Stelle, wo immer der Baum stand war nichts.! -----
Das Rätsel klärte sich erst beim "frommen" Blick nach oben.
Die Freude und Überraschung, die wir beide unseren Kindern vorbereitet hatten, war gelungen und besonders stolz war unsere Suse.
Aller Spott und kalte Hände waren vergessen.

Traulich saßen wir nun um unseren Weihnachtstisch und ließen uns von oben die fehlende Petersilie auf die Salzkartoffeln fallen.

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