Das Schuhchen

Es war Anfang Juni und ungewöhnlich heiß für diese Jahreszeit. Alle Schlafraumfenster des Kinderheims liegen zur Havel hin und sind weit geöffnet. Der erfrischende Nachtwind streicht über die Betten . Heute Nacht kann man besonders gut das bewegte Wasser hören und den Eigengeruch wahrnehmen, denn der Wind trägt alles herüber.

Florian lag schon lange wach und hörte den Morgengesängen der Vögel zu. Von weitem hörte er den Hund bellen, den er schon längere Zeit kennt. Bei Spaziergängen durch die Umgebung hat er sich schon öfter von ihm streicheln lassen. So durch den Zaun mit zwei Fingern. An das alles dachte er und an noch vieles mehr. Immer morgens, wenn die anderen Kinder die noch mit in seinem Zimmer waren noch schliefen konnte er träumen. Und das genoß er und wurde brummig, wenn es draußen unruhig wurde so wie grade jetzt. Das Lieferauto bremste scharf und schnell wurden die Michflaschenkästen, frische Brötchen und sogar Sreußelschnecken abgeladen und auf der Rampe zur Seite geschoben, dann trat wieder Stille ein und Florian kann weiter träumen. Der Duft des frischem Gebackenen wird vom leichten Aufwind langsam durch die offenen Fenster ins Innere des Hauses getragen. diesem Moment bog die Köchin in das große Tor ein, klapperte mit ihrem Fahrrad über das Holperpflaster im Hof, denn sie hatte das Schutzblech immer noch nicht vom Hausmeister festmachen lassen, stellte also die alte Klapperkiste in den Fahrradständer und nahm ihre dicke Tasche vom Gepäckträger der mit einem lauten ratsch heruntersauste. Danach klappte die Haustür und es trat wieder für kurze Zeit Ruhe ein. Er wartete, horchte, ja jetzt dieses Geräusch kannte er ganz genau. Er wußte auch, daß bald ein feines Maschinengeräusch durchs Haus zog und er konnte die Stullen mitzählen. Jium, Jium, Jium noch ein paar und zehn und dann kam er durcheinander bis elfzehn, zwölfzehn und dreizehn, kam dann restlos durcheinander und gab es auf. Die Türen klapperten, das Haus fing an zu schwatzen. Morgentoilette war angesagt. An solchen Tagen blieb er bis zum Schluß im Bett, denn träumen war wunderbar. Nun tauchten vertraute Gesichter auf, die Stimmen wurden lauter und auch er machte sich fürs Frühstück fertig.

Wieder begann ein Tag, für die Heimchen , seiner hatte schon längst begonnen. Es wurde wieder einmal so ein Trödeltag und er verzog sich zu Herrn Pohl. Da saß er gerne mal. Herr Pohl arbeitete am Computer, er stellte Zahlen zusammen und hatte immer viel zu tun. Wenn er dann doch mal etwas Zeit hatte und Florian ihn sehr eindringlich bat, machten sie auch zusammen mal ein Spielchen. Florian jagte dann mit dem Mauskursor das Spielmäuschen durchs Labyrinth und mußte immer neue Ausgänge finden. Er ist schon sehr geschickt dabei, so daß Herr Pohl ein neues Spiel für Florian installieren muß. Er macht es gerne, denn er hat seine Freude dran, wie der Junge immer besser wurde.

Florians Erzieherin hat viel Verständnis für ihn und entdeckt, daß er auch gerne malt. Er schleppt seine Malutensilien auch noch in den engen Arbeitsraum von Herrn Pohl, in dem er dann den ganzen freien Fußboden mit seinen Malerergebnissen ausfüllt. Er ist eben was besonderes, dieser kleine Florian. Er erzählt auch nur Herrn Pohl von seiner Sonntagsbesuchfamilie und den herrlichen Erlebnissen mit ihnen . Der Vater Björn hätte auch einen Computer und arbeitet fast das ganze Wochenende daran. Manchmal darf er auch mal ran, aber er hat keine Spiele drauf. Herr Pohl verspricht ihm, mit Björn darüber zu reden. Nun freute sich Florian schon auf den nächsten Besuch und auf seine beiden Freunde Jens und Jörg. Sie können gut miteinander spielen.
Vater Björn saß in seinem Arbeitszimmer. Mutter Maren hatte in der Küche zu schaffen und ihre beiden Söhne erledigten Schulaufgaben, die nun bald die letzten für dieses Schuljahr waren.
Die Ferien waren schon in Sicht, und das wußten sie genau, konnten sie diesmal mit ihrem Florian verleben, der die ganze Zeit über hierher zu Besuch kommt. Florian hatte schon öfter mit den beiden Zeit verbracht, aber noch nie hatte er das Heim zum Schlafen verlassen. Diesmal sollte es für viele Tage sein. Seit Florians Eltern, die Freunde von Björn und Maren, durch einen Autounfall ums Leben kamen, ist die Freundesfamilie der einzige Kontakt den Florian außerhalb des Heimes hat. Nach dem viele behördliche Schwierigkeiten überwunden wurden ist es jetzt kein Problem mehr mit Florian Ferien zu machen. In zwischen ist auch das Haus der jungen Familie restlos fertiggestellt genau so wie Florians Vater als Architekt vorgesehen hatte. Nun wird es Florian zum ersten Mal ganz erleben. Für Jens und Jörg war die Warterei auf die Ferien und ihren Florian durch das Herrichten des Zimmers für Florian schnell vergangen. Alles sollte richtig und gut sein, denn sie wollten, daß ihr Florian für immer bei ihnen bleiben würde. Wird er von der großen Liege rutschen? Oder kann er schon drauf schlafen? Er konnte, und es war sogar ganz herrlich, es wippte so schön. Daß Florian endlich ganz zur Familie gehört, war auch Björn und Marens Wunsch. .
Der Sommer verging für Florian wie im Fluge. Für Jens und Jörg waren es mal ganz andere Ferien, keine große Auslandsreise wie so oft schon, sondern ihre Ziele waren die nähere und weitere Umgebung. Oft führten ihre Wege am Kinderheim vorbei, über die Wiesen, am Bächlein entlang bis zum See, in den der kleine Zufluß mündete.
Als sie heute aus dem Wald auf die Lichtung kamen, entdeckten sie am Rand einen kleinen Wagen, der so aussah wie das Holzspielzeugwägelchen, womit Florian öfter im Kinderheim gespielt hatte. Der zweirädrige Wagen mit Spitzdach gehörte zu der Holztiergruppe "Schäferei". Nach dieser Feststellung hielten alle Ausschau und erspähten tatsächlich am Rande der großen Wiese einige vereinzelte Schafe. Sie stiegen von ihren Fahrrädern, legten sie im Buschwerk ab und gingen langsam, um die Tiere nicht zu verschrecken, auf dem schmalen Wiesenpfad näher zu ihnen heran. Nicht lange, so gewahrten sie auch den Schäfer, der an einem schattigen Plätzchen, sich auf seinen Stab stützend, etwas ausruhte und von weitem seine Herde beobachtete.
Die drei Jungen waren noch gar nicht bis zum Schäfer gelangt, da schoß aus dem Dickicht ein Hund, verstellte ihnen den Weg, knurrte leise, beschnüffelte sie und ließ sie erstmals nicht weitergehen. Einen kleinen Schrecken haben sie natürlich schon bekommen. Der paßt aber wirklich gut auf, sagte Florian mit etwas zittriger Stimme. Ein Pfiff und der Hund stiebte davon in Richtung Schäfer, der den Kindern zuwinkte. Wie staunten sie, als sie entdeckten, daß da nicht ein alter Schäfer auf sie wartete, sondern eine ganz junge Schäferin, die unter ihrem großkrempigen schwarzen Hut ihren langen Pferdeschwanz verbarg. Sie grüßte die verdutzten Kinder sehr freundlich und fragte wo sie denn herkämen und wer sie denn seien?
Jens stellte nun seine Gefährten vor, und Florian plauderte sofort drauf los. In Windeseile wußte die Schäferin, daß Jens und Jörg Brüder sind, er aber noch im Kinderheim lebt, das sich hier ganz in der Nähe befindet und daß er jetzt in den Ferien in dem großen schönen neuen Haus im Wald bei Jens und Jörg wohnt. Gleich danach erklärte Florian, daß er hier noch niemals Schafe gesehen hätte. Die Schäferin mußte ihm recht geben und erzählte nun den Jungen, daß sie erst in der Nacht mit ihren Tieren hier auf diesem schönen Platz angekommen wäre. Jetzt deutete sie auf das Pferch am Waldrand. Die Jungen staunten, denn sie hatten es noch nicht entdeckt. Ihre ganze Aufmerksamkeit galt den kleinen niedlichen Lämmern und den Mutterschafen. Wir werden eine gute Weile hier bleiben, die Schafe, der Hund und ich. Die Jungen hörten das mit Freuden, dann können wir ja immer wieder mal vorbei kommen.
Oh ja, das könnt ihr wohl.

Am Feldrain, wo die Heckenrosen noch üppig blühten, lagen riesige Feldsteine aufgetürmt. Dazwischen blühten wunderschöne zarte blaue Glockenblumen.
Hier werden wir ein bißchen Mittagsruhe halten, sagte die Schäferin und lud die Jungen zum Verweilen ein. Aus ihrer großen Umhängetasche holte sie ein zünftiges Schäferbrot hervor.
Es duftete nach Schwarzbrot, Käse und Dauerwurst. Sie schnitt gut passende Stücke für jeden ab und sie ließen es sich schmecken. Ein frischer Apfel ließ sich auch noch finden, der dann geteilt wurde. Langsam näherten sich auch den kleinen Steinhockern einige Muttertiere mit ihren Lämmern, die dort im Schatten auch ein bißchen ruhen wollten. Aber erstmals wurden sie von Florian gestreichelt. Immer wieder ließ er seine Finger durch die kleinen dichten Locken fahren. Es machte Beiden Spaß. Zwischendurch kam Prinz, ein deutscher Gelbbackenschäferhund zu ihnen gerannt und schüttelte sich bei ihnen sein noch feuchtes Fell aus. Die Tropfen flogen nur so herum und leuchteten in der Sonne wie Feuerfunken. Ja, ja der Schlingel war schon wieder mal im Tümpel sich abkühlen. Oh ja, da wollen wir auch noch hin, hakte Florian sofort ein.
Der Prinz stand nun abwartend vor uns. Bekommt er auch was? Nein, er muß erst seine Arbeit tun. Die Schäferin schickte ihn fort zu den Schafen und befahl ihm, sie ganz langsam zur Mittagsruhe zu bewegen. Nun umkreiste Prinz die Mutterschafe mit den Jungtieren, die weit auf der großen Wiese auseinander standen und drängte sie behutsam an den Wiesenrand in den Schatten. Dort hatten sich schon einige niedergelegt und käuten schon genüßlich wider. Bald waren alle Schattenplätze belegt und es trat Ruhe ein. Auch der Prinz legte sich jetzt zu ihnen. Florian war wißbegierig und unruhig zugleich. Er wollte vieles über die Schafe wissen, aber es drängte ihn auch, zum Tümpel zu fahren.
So fragte er schnell und alles auf einmal und wartete die ruhige Antwort der freundlichen und geduldigen Schäferin erst gar nicht ab. Na du bist ja ein zappliger kleiner Bursche, du steckst ja so voller Eile, daß ich dich besser Flo nennen werde. Was meint ihr dazu? Würde Flo nicht prima zu ihm passen? Jens und Jörg fanden den Kosenamen ganz prima für ihren Wildfang und so wurde aus dem strengen Florian ein spaßiger Flo. Florian alias Flo war es recht.
Nun wollte Flo aber doch lieber an den Tümpel.
So verabschiedeten sie sich von ihren neuen Freunden, der Schäferin und dem Schäferhund Prinz. Bis später mal wieder. Die Jungen gingen nun zu ihren Rädern winkten noch öfter, zu bis sie auf dem schmalen Pfad durch den Hochwald verschwanden.
Sie kamen nun in die Nähe des Sees und suchten sich ein feines Plätzchen aus um gut zum Schwimmen ins Wasser zu gelangen .Flo konnte noch nicht schwimmen und verlustierte sich erst einmal am Ufer. Er wurde zum Deichbauer. Jens und Jörg ließen ihrem Flo viel Zeit. Sie setzten sich nach dem Schwimmen an den Rand ins Gras und schauten ihm zu. Flo ging ständig auf Entdeckungsreise, baute Wasserstraßen, ließ Borkenboote schwimmen, die ihm die beiden geschnitzt hatten. Plötzlich kommt er völlig außer Puste angerannt und berichtet, er hätte eben in dem kleinen Tümpel am Eingang zum Stichgraben ein kleines Krokodil gesehen. Er zog die beiden mit sich und zeigte ihnen genau die Stelle wo er das besagte kleine Krokodil gesehen hätte. Jens und Jörg sahen auch wirklich etwas aber es war wie sie es sich schon dachten kein Krokodil sondern ein Kammolch. Große Erklärung , daß Krokodile hier bei uns nur im Zoo überleben können. Jetzt wo wir soviel Zeit haben könnten wir ja auch da mal hinfahren und uns die Krokodile anschauen.

Bei der ganzen Spielerei bemerkten sie nicht die Veränderung am Himmel. Es braute sich ein Gewitter zusammen und so etwas geht im Hochsommer sehr schnell. Die Kinder beeilten sich durch die Kornfelder zu kommen und vielleicht noch trocken das Kinderheim zu erreichen ,denn es lag näher als das Zuhause. Der Wind nahm zu das Korn wogte sich wie ein Meer hin und her aber sich das anzusehen blieb ihnen wenig Zeit Sie beeilten sich um dem zunehmenden Wind zu entkommen. Die Baumkronen bogen sich schon mächtig und viel Sand flog den Kindern in die Augen. Geschafft. Herr Pohl nahm die drei Jungen gerne auf die grade noch vor dem großen Wolkenbruch ins Haus gelangten. Herr Pohl rief sofort zu Hause an und verabredete mit Björn daß die Jungen hier im Heim sind und bleiben bis nach dem Unwetter die Wege wieder freigeräumt sind, denn der Sturm hat im Wald sehr gewütet, daß mit dem PKW nicht durch zu kommen war.
Für eine Nacht waren sie alle drei Heimkinder und Jens und Jörg stellten den sehr großen Unterschied zu ihrem zu Hause fest. Schlecht war es ja nicht aber für länger hier bleiben wie ihr Flo das wollten sie sich gar nicht erst vorstellen.
Nach diesem Erlebnis drängten die Jungen ihre Eltern noch mehr, ihren Flo doch für immer nach Hause zu holen. Gefühlsmäßig gehört er doch schon lange dazu. Jens und Jörg stellten fest, daß das Leben hier im Heim nicht ihr Ding war, und es fiel ihnen schwer, am nächsten Morgen so früh zu frühstücken und dann auch noch mit allen Heimkindern zusammen. Das war doch wohl zu verstehen.
Flo lernte in diesem Sommer von seinen Nunbrüdern das Radfahren und auch das Schwimmen ging schon ganz gut. In dieser Zeit hatte er das Computerspielen mit Herrn Pohl nicht vermißt, denn Björn hatte sich viele Spiele besorgt und er verbrachte viel Zeit mit Flo und den neuen Spielen auf dem Bildschirm.
Anfang Herbst war es dann soweit. Flo konnte nun für immer das Zimmer neben Jens und Jörg beziehen. Es war nun nicht mehr das Besucherzimmer in diesem schönen Haus sondern seins. Jens und Jörg hatten Bücher und Märchenkassetten für ihn besorgt. Sie dachten daran, daß sie auch mal, wie sie es gewohnt waren, Zeit für sich brauchten und da sollte Flo keine Langeweile haben.
Flo saß nun bei Maren und Björn im Auto, seine paar Habseligkeiten paßten in ein kleines Köfferchen, denn den Schlumps, den er zu Ostern von den Jungs geschenkt bekam, trug er fest unter dem Arm. Langsam wurden die Personen auf der Heimtreppe immer kleiner. Nur seine Freundin, die wohlbeleibte immer freundliche Köchin erkannte er noch lange.
Dann tauchte das Auto in den Wald ein. Die Strecke war ihm bekannt. Aber heute sah alles ganz anders aus. Dann die Einfahrt, die große Wiese vor dem Haus und dahinter der dichte Wald, durch den sie grade gefahren waren. Es roch nach Herbst, nach Pilzen und Wind. Als sie ausstiegen, raschelte das Laub unter ihren Schuhen. Er dachte an die Hängematte, die im Sommer zwischen den hohen Bäumen hing und an die Sommerspiele. Wie immer suchte Maren nach dem Schlüssel.
Es dauerte ein bißchen, bis sie ins Haus kamen. Jens und Jörg stürmten mit Flo die Treppe hinauf und zerrten ihn in sein Reich. Er sollte nun sein Urteil abgeben, ob alles so ist, wie er sich es wünschte. Flo stand erst mal da und konnte sich gegen den Redeschwall der beiden nicht wehren. Er staunte nur, was sich alles verändert hatte. Er stand da immer noch in Jacke, Schal und Mütze. Erst als Maren Flo in den Arm nahm, ihm die Jacke abschwatzte, war er angekommen, -- aber noch nicht zu Hause.
Jens und Jörg hatten Oktoberferien. Sie hatten sich viel vorgenommen. Sie wollten mit Flo Drachen bauen und über die Stoppelfelder ziehen. Mit den Bauernkindern aus der Gegend wollten sie ein zünftiges Kartoffelfeuer mit gebackenen Erdäpfeln erleben. Jeden Tag hatten sie sich was anderes ausgedacht. Die ganze Familie wollte dann am Wochenende in die Pilze gehen. Herrlich! Der Herbstwind blies ihnen nicht nur ins Gesicht, sondern auch reife Früchte von den Bäumen. Flo bereitete das alles viel Freude, denn er brauchte dann nicht in den Kindergarten.

Einen Tag hatte Maren frei. Flo und sie setzten für das nächste Jahr dauerhafte Pflanzen vor die Hecke, damit es im Frühling etwas bunter dort aussieht. Sie sammelten dann noch Äpfel und Pflaumen und buken einen Pflaumenkuchen, während die beiden Großen mit ihren Freuden an diesem Tag zu einer Probe in die Schule fuhren. Sie spielten in der Schultheatergruppe mit und hatten bald einen Auftritt. Sie freuten sich schon sehr darauf und versprachen, daß auch die ganze Familie mit zuschauen darf. Alles was in der Familie vom Theaterspiel inhaltlich erzählt wurde setzte Flo in kleinen Bildern um. Er war in seinem Element und seine Phantasie und Malfreude kannte da keine Grenzen.
In der Woche, als das Theaterstück aufgeführt werden sollte, zeigte Flo ganz stolz seine Bilder. Maren erfaßte sofort die Gelegenheit am Schopfe machte es ganz wichtig, damit Flo spüren sollte, wie sehr ihr daran lag und daß er zur Familie gehörte und schlug vor, die kleinen Bilder auf Leisten zu befestigen und sie im Schulflur zum Eingang in die Aula aufzuhängen.

So sahen alle Gäste, Eltern und Freunde der Familie, daß Jens und Jörg einen jüngeren und fleißigen Bruder haben. Unter den Bildern stand nun sein Name Florian Bauer. Er hatte jetzt einen Familiennamen wie alle anderen Kinder auch. Er hörte die Leute laut über die schönen Bildchen und Farben staunen, aber auch wundern, wie und auf welche Weise die Familie Bauer jetzt noch einen Kleinen haben. Das stört Flo nicht im geringsten, er wußte ja. Er war stolz auf seine Bilder und seine Familie.. So ein Gefühl hatte er noch nie. Es war herrlich!
Herrlich waren auch die Zeiten, wo er mal ganz für sich durch den Garten, den Wald und durch das Haus streifen konnte. Heute war so ein Tag. Die Abstellkammer, die Garage und den Keller kannte er schon und immer fand er etwas Aufregendes. Nach der letzten Wäsche war die Bodentür nicht wieder verschlossen worden und er konnte auch dorthin seine Streifzüge ausdehnen. In einem sehr verstaubten Pappkarton fand er einen Schuh. Warum nur einer? Er war ganz leicht, schon ein bißchen abgerissen. Die Spitzen abgestoßen, die Absätze abgewetzt und die Sohlen ganz dünn. Auf ihm lag der Staub von Jahren. Wem gehörte er wohl? Jens? Jörg? Aber nein! Durch seine Gedankenwelt fegte ein Sturm. Das ist ein Mädchenschuh? Er hatte mal zwei Farben. Rötlichbraun, das durchlöcherte Blatt könnte mal grün gewesen sein. Flo fing an, dem Schuh Fragen zu stellen.
Die Antwort war Stille. Flo begriff, dieser Schuh konnte nur zuhören. Er sagte nun seinem Schuh, daß er ihn mitnehmen würde, weil er hier oben so allein und vergessen war. Er steckte ihn kurzerhand in seine Hosentasche. Er hatte einen Schatz gefunden und was er da noch nicht wußte, für lange Zeit einen geduldigen Begleiter. Beide erlebten ein tolle Zeit. Als erstes bekam sein neuer Freund, so staubig er auch war, einen Namen. Weil ihm sein Schnürsenkel fehlte, hieß er nun Schnürchen. Flo gab ihm mit dem Namen, was ihm fehlte. Schnürchen durfte überall mit hin, denn er konnte sich jetzt in Flo´s Hosentasche breitmachen und teilte so mit ihm alle Geheimnisse.
Flo hatte es nun eilig, in die Badestube zu kommen, um seinen Findling zu säubern. Sein Schnürchen nahm es ihm etwas übel, so viel Wasser und Seife abzubekommen und war nach dem Trocknen etwas hart. Im Laufe seines Taschenlebens wurde er merklich freundlicher und geschmeidiger und blieb ein geduldiger Zuhörer für Flo. Er war für Flo der Freund für einsame Stunden zu Hause und im Kindergarten. Von den Auseinandersetzungen im Kindergarten oder auch mit den Jungs erfuhr er immer als erster, was geschehen war und half Probleme zu lösen, indem er zuhörte. Im Kindergarten vergaß er es nie, ihm einen guten Mittagsschlaf zu wünschen, aber nicht bevor er sich vergewissert hatte, daß er gut und fest in der Hosentasche versteckt war. Am Abend sang er ihm auch ein Schlaflied.

Ein schöner Herbsttag, der letzte vielleicht in diesem Jahr hatte die ganze Familie noch einmal zu einem Ausflug veranlaßt, der beinahe tragisch endete. Alle erfreuten sich an den wärmenden Sonnenstrahlen, Laub war nicht mehr viel an den Bäumen. So konnte sie fast ungehindert auf die Sonnenhungrigen herunterscheinen. Jeder war in seine Gedanken verstrickt, raschelte mit dem Laub, fand irgendwie noch einen kleinen Rest Sommer und schwatzend und spielend gelangten alle an den steilen Abhang zum See. Dort traf man sich mit Freunden. Die Erwachsenen machten einen Plausch über dies und jenes, die großen Jungen legten einen kräftigen Spurt ein, weil sie das langsame, genüßliche Gelatsche der Eltern nicht ertragen konnten. Flo trödelte vor sich hin, vergnügte sich am Steilhang und schaute den klatschenden Wellen zu.
Plötzlich entdeckte er etwas Herumkullerndes im Wasser. Es sah aus wie ein Knäuel, ja genau war das von hier oben nicht auszumachen, aber dann bewegte es sich, kämpfte gegen die Steine und die Wellen, konnte sich aber nirgends festmachen. Immer wieder trug die nächste herannahende Welle den nun erkannten kleinen hilflos ausschauenden Igel immer wieder für kurze Strecken zurück. Für Flo stand fest, er braucht Hilfe. Mit einem langen Rutscher auf dem Hosenboden am Steilufer hinunter war er in Sekundenschnelle bei ihm. Aber auch für ihn war es nicht leicht, dort einen festen Standplatz zu finden. Es war hier gleich sehr tief und kalt dazu. Er erwischte den kleinen Kerl und barg ihn erst einmal in seiner Trainingsjacke. Beide waren nun naß. Triefend suchte Flo nun eine Aufstiegsmöglichkeit und kam immer weiter ab von seiner ehemaligen Einstiegsstelle. Je mehr er aber weiterwatete, desto rutschiger wurde der Untergrund. Noch hatte er nicht um Hilfe gerufen, denn er hatte keine Angst, konnte sie auch nicht erkennen. Er beruhigte nur seinen kleinen Freund, der immer noch nicht seine Stacheln eingezogen hatte und seinen Retter piesackte. Er war immer noch im selbstvergessenen Rettungseifer, da hörte er einen Schrei.
Jemand rief immer wieder seinen Namen. Flo, Florian, wo bist du? Flo melde dich! Flo sah nun in die Richtung des Rufers und erkannte weiter weg an der Oberkante des Steilufers das vertraute Gesicht von Björn. Björns Schrecksekunde war groß und schon war er bei Flo, der immer nur Sorge um den Igel hatte. Er konnte alle geäußerten Ängste, Vorhaltungen und folgende Verhaltensregeln nicht so recht annehmen. Er hatte doch nur helfen wollen. Da er pitschnaß war, half alles nichts, sie mußten zurück. Bis sie am Auto waren und sie Flo in eine wärmende Decke hüllen konnten tat es Björns Jacke und Marens großes Schultertuch. Die Bonbons von Jens und Jörg munterten ihn wieder auf. Die Familie stellte nun fest, daß der Igel sich noch nicht genug Speck angefressen hatte, um den langen Winter zu überstehen und so kam er nebst nasser Kleider in den Kofferraum. Alle beschlossen, den Igel mit allerhand guten Sachen zu füttern, damit er überleben kann. Schabefleisch nahm er am liebsten.
Die Igelsache war nun klar. Flo hatte nur Sorge um sein Schnürchen. Es war sicher, auch er war naß und das war schon einmal nicht so gut gewesen für ihn. Er konnte aber jetzt nichts für ihn tun. Natürlich stürzte er als erster, humpelnd und hüpfend mit der umgehängten Decke an die Kofferklappe. Er sah aus wie eine schwarze Krähe mit herunter hängenden Flügeln. Er bat nun um seine nassen Sachen.
Wie ordentlich er doch ist, meinte Maren. Weit gefehlt! Was Flo trieb, war nur sein Schnürchengeheimnis. Spät im Bett nach warmer Wanne, Milch mit Honig und einer tollen Gutenachtgeschichte als Loblied auf seine gute Tat, hatte er endlich die Möglichkeit, seinem Schnürchen alles zu beichten. Er entschuldigte sich als erstes für das unangenehme Bad bei ihm und erklärte dann lang und breit, warum er den Igel dort retten mußte. Daß er selber in Gefahr schwebte, war ihm immer noch nicht klar. Er maulte noch über die vielen Ermahnungen und Vorwürfe der Erwachsenen. Dann tat die Bettwärme ihre Wirkung und er schlief mit dem noch immer nassen Schnürchen ein.
Der Igel kam noch viele Tage zum Fressen, bis er sich für seinen Winterschlaf verkroch, um im nächsten Frühling als Dank für seine Rettung die Schnecken aus den Erdbeeren zu fressen. So versprachen es die Großen und die müssen es ja wissen.

Es wurde kühler, Nebel zog in die Tage. Die Ferien waren vorbei und Flo ging wieder in den Kindergarten. Die Spiele wechselten. Wettläufe, Rollerfahren und Hopse waren nun der große Hit. Diese Abwechslungen machten ihm aber nicht viel Freude, seine Stärken lagen im Malen, darum verlor er hier meistens unter dem Hohn der Jungen. Da schlugen sich die Mädchen auf seine Seite und versprachen ihm beizustehen, denn er war immer freundlich zu ihnen. Er zog nicht an ihren Zöpfen und störte auch nie ihre Spiele. Sie hatten schon bemerkt daß er einen kleinen Sprachfehler hat. Wenn er solchen verächtlichen niederschmetternden Hohn erntete, konnte er sich vor Aufregung nicht sprachlich wehren und schlagen wollte er sich nicht. Die Mädchen griffen jetzt die frechen Jungen an, die immer so geläufig mit ihrer Zunge waren und meinten, sie sollten ihm lieber helfen. Wenn er ein gebrochenes Bein hätte, würdet ihr ihm wohl stützen, aber wenn ihm die Zunge zerbrochen ist, dann könnt ihr nur zanken und stänkern. Die so angezählten Jungen plärrten ihnen die zerbrochen Zunge nach und wollten gerade kichernderweise abziehen, als sich ganz behutsam ihre Gruppenerzieherin einschaltete und das neue Verständnis und Mitgefühl bei ihren Kindern bestärkte. Alles das hörte auch sein Schnürchen, der von der Hand seines Freundes Flo fest umschlossen wurde.

Wochen waren vergangen und Flo hatte eine kleine Freundin und freute sich schon jeden Tag auf sie. Er spielte gerne mit ihr und ihren Freundinnen. Langsam wurde der Kreis immer größer und er hatte das Gefühl, er gehört dazu. Es war Mittagszeit und durch das Haus zog der Duft von Zimt, die Kinder riefen, es gibt Reis mit Zucker und Zimt oder Apfelmus. Viele Kinder freuten sich schon, aber Flo´s kleine Freundin wurde immer stiller, aber er bemerkte es nicht. Erst als schon fast alle ihre Portion verspeist hatten und sich was nachnahmen, stutzte Flo. Seine Freundin stocherte herum, die Tränen fielen ihr schon auf den Teller. Er stellte fest, sie hatte mehr Apfelmus als Reis auf dem Teller, trotzdem konnte sie nichts hinunter bekommen. In diesem Augenblick verließ die Gruppenerzieherin den Raum, um im Waschraum nach den Kindern zu sehen. Sofort schritt Flo zur Tat, er löffelte sich in Windeseile den Mittagsrest von seiner Freundin in den Mund, aber nicht unbemerkt von seiner Erzieherin, die im Türschatten stand, die kindliche Solidarität erlebte und sie schmunzelnd gewähren ließ. Von da an waren an den Reistagen immer zwei Schüsseln auf dem Tisch und auch die Nudelschüssel wurde immer leer. Schnürchen war stolz, bei so einem Freund in der Tasche zu wohnen.
Das erste Glatteis in diesem Winter wurde von den Kindern sofort zum Schlittern ausgenutzt und es machte immer viel Spaß. Nun hatte die Fläche aber einige Unebenheiten und die bekam seine Freundin zu spüren. Sie rutschte und stolperte so ungünstig, daß sie schmerzhafte Schrammen im Gesicht hatte. Ihre kalten Wangen waren ganz rot und taten sehr weh.
Flo tröstete sie und führte sie in die Garderobe, wo er ihr beim Ausziehen half. Als er ihr die Schuhbänder aufknüpfte, die ganz gefroren waren, fiel ihm sein Schnürchen ein. Er zog es hervor und drückte es ihr in die kalten Hände. Sie stutzte, aber er erzählte ihr alles von seinem kleinen Begleiter und sie hörte zu. Sie hatten nun ein Geheimnis und von da an saßen die beiden oft in einer Ecke kicherten, tuschelten und sangen und hatten viel Spaß mit Schnürchen.
Das Weihnachtsfest meldete sich durch seine Vorboten an. Der Nikolaus kam auch in den Kindergarten. Alle Kinder stellten auch hier erwartungsvoll einen ihrer Hausschuhchen in der Garderobe auf die Bank. Danach trat im Haus eine knisternde Stille ein und irgendwann war auch das letzte Kind eingeschlummert. Nun konnte der Nikolaus auch hier seine Arbeit tun. Dann weckte leise Musik alle Schläferchen, die sich nun auf einem Bein hüpfend, stolpernd und neugierig in den Flur begaben, um sich davon zu überzeugen, daß der Nikolaus auch wirklich hier bei ihnen gewesen ist. Der hatte sich viel Mühe gemacht und seine kleinen Säckchen mit einem goldenen Band versehen. Flo wußte sofort, was er damit machen konnte. Er verkroch sich an ein ruhiges Plätzchen und löste das Goldband um etwas zu naschen.
Keiner achtete auf ihn, alle hatten mit sich zu tun . So konnte er ganz unentdeckt flugs seinen goldene Reichtum in die leeren Löcher von Schnürchen fädeln. Gut sah sein Freund damit aus und verdient hatte er es auch für seine große Geduld. Er war zufrieden und ließ sein Schnürchen wieder in die Hosentasche gleiten. In der Adventszeit ging das Flüstern und Gewerkel überall weiter.
Flo erlebte nun bald sein erstes Weihnachten in der Familie und er wußte nicht, wie das so sein würde. Im Heim war alles klar, aber hier mit Björn, Maren und den Brüdern zusammen, wie soll das gehen? Er schwatzte nächtelang mit seinem Schnürchen darüber, bis er dann seine Kindergartenfreundin fragte, wie es bei ihnen zu Hause gefeiert wird. Also das ist so:
Erstmal werden alle Kinder ausgesperrt - na wohin denn?- na wo schon, in die Kinderstube und da müssen wir bleiben und da gibt es immer den ersten Streit, wer was bekommt. Da werden jedem von jedem blitzschnell alle Verfehlungen aufgezählt und damit festgestellt, daß eigentlich keiner was zum Fest bekommen müßte. Bis das Glöckchen läutet. Dann dürfen wir alle in die Fernsehstube und den von Vater geputzten Weihnachtsbaum bewundern. Danach findet jeder seine Geschenke, stürzt sich über seinen süßen Teller her und zieht sich zurück.
Mutter wird dann immer so komisch und fängt zu singen an. Na ja, das ist aber bald vorbei. Dann holen wir unser Gebasteltes heraus und sagen unser Gedicht auf und dann machst du was du willst. Dann gibt es noch für alle eine ganz tolle Überraschung. Die Mutti macht uns immer ein ganz prächtiges Abendessen und dann dürfen wir noch lange aufbleiben. Vati steckt dann noch mal frische Kerzen auf und wenn die alle runtergebrannt sind, müssen wir aber wirklich ins Bett.. Na nun weiß ich jedenfalls Bescheid und weiß, was ich machen muß. Also warten bis es läutet. Ja ja dann geht's los, versicherte ihm seine kleine Freundin. Einen Kerzenständer aus Ton habe ich schon für Maren angefertigt und einen Stein bunt angemalt als Briefbeschwerer für Björn, berichtete Flo und fragte gleichzeitig, ob das reichen wird. Aber ja doch.

In der Woche vor Weihnachten waren wieder Schulferien und auch Flo blieb zu Hause. Überall in allen Zimmern und auf dem Flur war Tannengrün mit Strohschmuck hingestellt worden. Die ganze Familie fand sich in der Küche ein und unter Marens Anleitung wurde für das Fest gebacken. Es war herrlich in der großen Küche und naschen durfte er auch. Nur Björn hatte noch am Computer zu tun und legte nur ab und an mal eine neue Schallplatte auf, um die fleißigen Weihnachtsbäcker zu erfreuen. An den Abenden verbreitete Kerzenlicht einen ganz besonderen Zauber in den Stuben und es war ganz gemütlich. Björn kam mit einem Buch unter dem Arm in die Stube herunter, Jens und Jörg kamen aus dem Keller und taten sehr wichtig. Maren und Flo saßen schon auf dem kuscheligen Sofa und erzählten sich was. Björn war dabei, eine Geschichte herauszusuchen.
Flo bat nur darum, nicht wieder die Weihnachtsgans Auguste hören zu müssen, das war immer Standard im Heim. O nein, heute lese ich euch die Geschichte vom alten Nußknacker vor, der jahrelang alle Nüsse für die Kinder der Familie geknackt hatte und plötzlich, weil die Kinder erwachsen waren und ihre eigenen Familien hatten, nur noch vergessen im Schrank stand. Flo hörte nur noch mit dem halben Ohr hin, griff in seine Hosentasche und fühlte glücklicher weise sein Schnürchen, dem es ja genauso ergangen war. Nur der Nußknacker konnte wenigstens durch die Glasscheibe schauen und den beiden Alten, die da ganz allein im Kerzenlicht saßen, zusehen. Dem Nußknacker tat das so leid, daß sie so allein waren und fing ganz toll an mit seinem großen Maul zu klappen bis die beiden Alten ihn hörten und ihn herausnahmen. Nun erinnerten sie sich an die glücklichen Jahre mit ihren Kindern und waren froh, so eine schöne Zeit mit ihnen verlebt zu haben. Draußen rumpelte es, die beiden Alten schreckten aus ihren Erinnerungen auf und sogar der Nußknacker wurde ganz still.
Die beiden fragten sich, wer da wohl käme und das am Heiligabend, wo jeder allein zu Hause in der Familie ist. Das Schloß rappelte, die Klinke sprang auf wie von allein und herein stolperten die Enkelkinder und Kinder, an die beide gerade gedacht hatten. Nun war auf einmal wieder viel Freude, viel Licht, viel Liebe im Haus. In dieser Nacht waren die beiden Eltern nicht mehr allein und ihr Nußknacker bekam tüchtig zu tun. So und nun in die Falle mit euch. Morgen ist "Heilige Nacht" da müßt ihr gut ausgeschlafen sein.

Alles begann ganz anders, als es Flo von seiner Freundin hörte. Am Vormittag gingen die vier Männer in den Garten und schüttelten von der Blautanne den Schnee herunter. Das sah ganz lustig aus, wenn der Schnee so stiebte und in der Sonne glänzte, nur dumm, daß man den Schnee in den Kragen bekam. Björn hatte einen Korb aus dem Keller geholt, der allerhand nahrhafte Sachen barg. Möhren für die Hasen, die kamen ganz unten an den Stamm der Blautanne. Die Sonnenblumenkerne auf das Brett und auf den größten Ast der Tanne. Der grüne Speck ganz nach oben für die Vögel. Die Tontöpfe mit den Talgkernen kam an die Astmitte zu hängen, damit nichts abbrechen kann. Ein paar Nüsse halb angeknackt für die Eichhörnchen, wenn sie dann kommen sollten. Also ein Baum für die Tiere, der von diesem Tag an bis zum Frühling immer wieder mit frischen Futter bestückt wird. Die ersten Körner verstreut Björn schon immer Ende Oktober, damit sich die Tiere an den Futterplatz gewöhnen.
Als im Garten nichts mehr zu tun war, rief Maren alle in die Küche. Es gab eine kleine Überraschung für fleißige Fütterer. Eine zünftige Schokolade für die Kinder und mit einem dicken Schuß Kognak für die Großen. Dann ging es daran, den Weihnachtsbaum aufzustellen. Alle halfen mit ihn zu schmücken. Flo kam mit all seinen Vorstellungen durcheinander. Nichts von dem, was ihm seine Freundin erzählt hatte, stimmte hier. Das zeigte ihm wieder einmal, daß jeder seine Erfahrungen selber machen mußte.
Als sich die Dämmerung niedersenkte, Flo war gerade oben in seiner Stube, um nachzusehen, ob seine Geschenke für Björn und Maren schön verpackt wären, da erklang im ganzen Haus Klaviermusik. Noch nie, solange Flo in diesem Hause lebte, hatte jemand Zeit gefunden, auf dem Flügel zu spielen. Jetzt endlich diese Musik, die ihn ganz gefangen nahm. Maren hatte sich rangesetzt und spielte eine Weihnachtsmelodie nach der anderen. Flo kam langsam, ja fast schüchtern, die Treppe herunter und sah Maren im Kerzenschein leicht gebeugt am Flügel sitzen. Jens und Jörg drängten ihn von der Treppe vorsichtig runter in den großen Raum, in dem ein ungeahnter Zauber hing. Björn nahm den staunenden kleinen Wicht dicht an sich heran und alle standen bei Maren am Flügel. Keiner störte ihr Spiel und Flo schaute, wie ihre Finger geschwind über die Tasten glitten. Der Ring, den sie am Finger hatte, glitzerte und tanzte immer mit. Das war das schönste Weihnachtsgeschenk, meinte Flo ganz unvermittelt und schmiegte sich noch fester an Björn heran, denn Maren blieb in diesem Augenblick seiner größten Entzückung für ihn unerreichbar.
Dann öffnete Björn die Balkontüren. Frische Schneeluft durchflutete den Raum und es funkelten winzige Kristalle auf den Fußboden nieder. Nun drang schwerer Glockenklang vom Turm herüber und läutete das Weihnachtsfest ein. Die Kerzen flackerten sehr und Jens wollte die Türen wieder schließen, da meinte Björn, warte noch einen Augenblick, ich will in die Winternacht horchen. Richtig, er hatte sich nicht getäuscht, zwischen weihnachtlichen Klängen und Glockengeläut hatte er ein sehr bekanntes Motorengeräusch vernommen.

Freunde kamen mit ihren Kindern aus der Stadt zu ihnen in das märchenhaft anmutende verschneite Waldhaus. Gleich wird es hier sehr turbulent hergehen, Freunde lagen sich in den Armen wünschten sich gegenseitig frohe Festtage. Aus den Kofferräumen kamen zarte Blüten zum Vorschein, die waren für Maren und standen etwas später auf dem Flügel. Geschenke für die Kinder und den Freund waren auch noch zu finden. Geschwind wurde alles durch den leise fallen Schnee ins Haus getragen. Nun brach eine Welle der Freude und der Neugier über alle herein. Mitten in diese auspackende und Päckchen aufknüppernde Gesellschaft stürzte ganz unverhofft ein kleines winziges sehr lebendiges Knäuel. Flo war verdutzt, weil der kleine Yorkshire-Terrier geradewegs auf ihn zusteuerte. Er griff nach ihm und dabei glitt ihm sein Freund Schnürchen aus der etwas zu engen Festtagshosentasche. Die Kindergartenhosen hatten viel tiefere Taschen, das war viel besser. Flo konnte seinen Freund nicht in Sicherheit bringen. Das kleine freche Hundeschnäuzchen hatte ihn geschnappt und tollte mit dem von Flo so sorgsam gehüteten Geheimnis zum Spaß aller Freunde durch den Raum.
Der Weihnachtshund, der noch keinen Namen hatte, legte das "Schnürchen" vor Maren ab und bettelte sie an. Sie nahm das Schnürchen nun in die Hand und fragte nun Flo, wo er ihn denn her hätte und wie lange schon. Flo lehnte sich an Maren und erzählte ihr ganz leise und ein bißchen verschämt von seinem Geheimnis. Seine Erlebnisse mit ihm verschwieg er ihr aber. Maren verstand ihn auch so und drückte ihn ganz fest an sich. Sie berichtete nun ihrerseits, daß es ihr Schuhchen war. Ihre Mutter hatten ihn für sie aufgehoben, weil sie so an ihm hing. Flo dachte nur daran, daß er sich mit seiner Vermutung nicht getäuscht hatte, -Mädchenschuh - und war zufrieden. Maren erzählte aber weiter: als Björn und ich dann das schöne Haus bauten, brachte uns meine Mutter meinen Schuh als Einweihungsgeschenk, mit dem Bemerken, daß noch mehr große und kleine Schuhe unter diesem Dach wohnen sollten. Denn nur ein volles Haus ist ein gutes Haus. Maren und Björn haben diesen Einweihungsspruch nie vergessen, sondern ihn gelebt, das zeigen ganz deutlich alle Freunde, die sich hier in dieser Heiligen Nacht trafen.
Ab diesem Abend überließ Flo sein Schnürchen dem jüngsten Mitglied der Familie, damit auch er sich hier einlebt. Flo brauchte ihn nun nicht mehr.

Nach einem ausgiebigen Weihnachtsspaziergang durch die stille Nacht setzte sich Maren noch mal an den Flügel, der kleine Namenlos schleppte immer noch sein schwer erobertes Schnürchen umher und schlief zuguterletzt mit dem Schnäuzchen auf Flo´s Füßen ein. Der niedliche Quirl war wohl der einzige, der in dieser Heiligen Nacht schlief.
Flo stand ganz leise auf, lehnte sich an den Flügel und flüsterte. Was meinst du, Mama Maren, habe ich es richtig gemacht, ihm unser Schnürchen zu überlassen? Aber ja, meinte Maren überglücklich, denn sie wußte, jetzt war Florian zu Hause angekommen

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